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Brief aus London
Swiss Cottage
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                             Nicht nur für Cricketfans

England, Winter 2013/14 – ein Desaster. Es sind nicht nur die verheerenden Sturmfluten und nicht endendwollenden, nunmehr schon zwei Monate anhaltenden Regenfälle, die erneuten Drohungen des Finanzminsteriums für weitere drastische und nicht minder verheerende Budgetkürzungen, oder die befürchteten Einwandererfluten aus
Rumänien und Bulgarien – nein, die Rede ist von der katastrophalen Niederlage des englischen Cricketteams „Down Under“, gegen den Erzrivalen Australien, im Kampf um die „Ashes“ – 0:5 aus englischer Sicht ging das prestigeträchtige Duell verloren. Im Zweijahrestakt findet jene Wettbewerbsserie statt, abwechselnd in England und nun eben, im australischen Sommer. Bei den 5 Spielen geht es nicht um Geld, oder um die Weltmeisterschaft, nur um den Ruhm ... und eine winzige, ein paar Zentimeter hohe, dafür aber über 100 Jahre alte Trophäe.

Der englische Nationalsport steht für Bewegung, Dynamik, Koordination, für Gentlemen in Weiss und Understatement, Fairness, ein verwirrendes Regelwerk, und eine dem Kontinenataleuropäer (zunächst)  unverständliche Fachterminologie. Historisch also, traditionell,  idiosynkratisch, britisch – und irreführend. Cricket ist in Wirklichkeit ein recht simpler Sport, eine Mannschaft wirft eine vorgeschriebene Anzahl von Bällen, die andere drischt auf den Ball, möglichst jenseits der
Spielfeldbegrenzung und erhält dafür Punkte, mehr desto weiter der Ball
fortbefördert wird. Die weissen Jumper und Hosen haben längst grellbunten Jerseys Platz gemacht, Tätowierungen sind
 an der Tagesordnung und auch mit dem gentlemanhaften Benehmen ist es so
eine Sache. Gegenseitige Anfeindungen, verbale Einschüchterung und
Beleidigungen gehören zum Spiel, „Sledging“ nennt sich das, und gelegentlich hört sich das gar nicht fein an.

Wichtigkeit und Einfluss des Sports bestätigt sich in den Cricketmetaphern der Alltagssprache, „to play a straight bat“ etwa, oder „Night watchman“, oder „bad innings“, und auch in der britischen Lust an Zahlen und Statistiken. Wie andere Sportarten hat es längst auch Einzug gehalten in den Kulturbereich, in Museen als Ausdruck und Bestandteil von Alltagsgeschichte, aber auch in Spezialsammlungen wie etwa
Lords; und in den Kunsthandel: Auktionshäuser halten regelmässige Cricket Sales. Die Tatsache bleibt, Cricket erfreut sich weiter grosser Beliebtheit, die „Ashes“ bleiben ein Höhepunkt des sportlichen Jahres.

Niederlagen wie die jüngste schmerzen daher, und geben zu allerlei kritischer Selbstbetrachtung Anlass, sei es nun nun beschränkt auf den Sport, oder übertragen auf und vermengt mit anderen Bereichen: Wirtschaft, Wissenschaft, Geschichte oder Politik. Das Jahr 2014 verspricht dabei reichlich fruchtbaren Boden. Da wäre zum Einen das schottische Unabhängigkeitsreferendum und der befürchtete – wenn Auch realistsisch betrachtet, äusserst unwahrscheinliche – Zerfall der seit 1707 bestehenden Union. Und zum anderen das, bereits an anderer Stelle erwähnte, „Centenary“ zum 1.Weltkrieg, der weitestgehend übereinstimmend, als Ursache und Beginn des Niederganges britscher Weltmacht angesehen wird, das Anfang vom Ende, um einmal ein Churchillsches Diktum zu variieren.

Letzteres ist nirgends offensichtlicher als in der Architektur Londons. Die jüngst erfolgte Restaurierung von St. Pancras zum Beispiel hat ein Kleinod – genauer betrachtet, nicht gar so klein! – spätviktorianischer, d.h. imperialer britischer Architektur wiederhergestellt. Vernachlässigt, russüberdeckt und umweltverschmutzt teilte es lange das Schicksal zahlreicher Bauten aus der Blüte- und Hoch-zeit des British Empire der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Lange als derivativ, unoriginell, vulgär und versatzmässig verschrien – und von ernsthaften, zeitgenössischen Architekten immer noch ein wenig scheel angesehen
–, führte dies zur Zerstörung und Vandalisierung unersetzlicher Kulturgüter, allzu häufig unter dem Deckmantel kommerzieller Interessen. Dem hat sich seit Mitte der 50er Jahre die “Victorian Society“ entgegengestellt, mit wortkräftiger Unterstützung von Vertretern des öffentlichen Lebens wie etwa Beetjeman und (dem deutschen Emigranten) Nikolaus Pevsner. Nicht immer erfolgreich, wie der skandalöse Abriss von Euston Arch in den 60er Jahren bezeugt, aber seit den 80er Jahren hat ein Umdenken eingesetzt und viktorianisches
Schaffen in seinem spielerischen/respektlosen Umgang mit Dekor, Farbe, Materialien, Technologie und Struktur erfreuen sich der allgemeiner Wertschätzung und Schutzes. Inzwischen schwingt das Pendel gar in die gegensätzliche Richtung, und Kritiker wie der sich gerne provoktiv gebende Jonathan Meades haben viktorianische Architektur gar, und das ist durchaus positiv und nur wenig ironisch gemeint, mit dem modernen Brutalismus verglichen – der sich ja
mit der Anerkennung  (noch) ein wenig schwer tut. Jüngst wieder zugänglich gewordenes Paradebeispiel eines opulenten, sinnlichen und fröhlichen viktorianischen Interieurs ist Cafe und Bar im Hotel im obenerwähnten Bahnhof von St Pancras, benannt nach dem urspünglichen Architekten Gilbert Scott, und der Besuch sei an dieser Stelle wärmstens empfohlen. Wobei auch der Cream Tea mit Scones hier nicht zu verachten sind ... Wen es weiter hinaus zieht, der besuche Alfred Waterhouse‘s Rathaus in Manchester, die SS Great Britain in Bristol, oder die Kathedrale in Liverpool. Und zurück in London traditionelle Pubs wie das Princess Louise in Covent Garden und die Museum Tavern, Two Temple Place (Londonder Geschäftssitz der
Waldorf Astors), oder als Beispiel der zahllosen viktorianischen
Gemeindekirchen Holy Trinity in Kentish Town, die Ubahn nicht zu vergessen, und die Puginschen Houses of Parliament.

Privatinitiative wie die der Victorian Society ist effektiv und eine stolze englische Tradition, und sie setzt sich fort. Beispielsweise in der Arbeit der East End Preservation Society, die sich gegen die fortschreitende Kommmerzialisierung des Londoner East End (d.h. alles was östlich von Liverpool Station liegt, wie Bishopsgate  Goods Yard, Columbia Market, Mother Levy’s, der London Fruit and Wool Exchange in Spitalfields) zur Wehr setzt –  ein Magaluf bei Nacht und Klondike bei Tag, wie es Matt Johnson, ehemaliger Leadsänger der Spätachziger Band The The,
einmal nicht ganz unzutreffend ausgedrückt hat.

Vielleicht unvermeidlich, geraten Londons Funktion als Finanzzentrum und als wirtschaftlicher Motor des Landes gelegentlich aneinander mit seiner Rolle als Wohnort, als sozialer und kultureller Raum. Wie vernetzt Kommerz und Kultur jedoch wirklich sind, zeigt eine vor wenigen Wochen veröffentllichte Statistik aus dem Kunstmarkt:  für den Zeitraum
zwischen 2012 und 2013 wurden Exportlizenzen im Wert von 1,7 Milliarden Pfund für rund 33.000 Kunstobjekte aus britischen Sammlungen erteilt. Angesichts der Quote – lediglich 28 Anträge, d.h. eine verschwindenede Minderheit, wurden abgelehnt – regen sich, auch hier, gelegentlich kritische Stimmen. Das Export Licensing Unit, ein 8-köpfiges Kommittee bestehend aus Kunst-  und Kunsthandelsexperten hat die (undankbare?) Aufgabe, über die Genehmigung zur befristeten oder unbefristeten Ausfuhr von Kunstwerken zu bestimmen. Derzeitige Mitglieder sind in etwa
Richard Calvocoressi, Direktor der The Henry Moore Foundation, Leslie Webster Kuratorin und vormalige Leiterin der vorgeschichtlichen Abteilung im Britischen Museum oder Simon Swynffen Jervis vom Burlington Magazine.

Zur Anwendung kommen dabei die sogenannten Waverely-Kriterien, eine Kombination von Preis, geschichtlicher, ästhetischer und akademischer Bedeutung. Das reicht von Silbervasen, über Soldatenmützen und Empiremöbeln bis hin zu Altmeister- und
modernen Gemälden. Wenig überraschend, dass dabei durchaus Raum zur subjektiven Auslegung besteht und immer wieder recht schön und öffentlich gestritten werden kann. So wurde beispielsweise letztes Jahr die Ausfuhr eines Jane Austen zugeschriebenen Ringes verweigert, und ein Selbstporträt von Rembrandt – nach zwischenzeitlichen Aufschub – in die USA exportiert. Zwei George Stubbs-Werke – The Kongouro from New Holland und Portrait of a Large Dog (The Dingo) – wurden erfolgreich vom National Maritime Museum in Greenwich im Verein mit privaten Geldgebern und dem Heritage Lottery Fund erworben. Im Falle eines van Dyck Selbstporträts versucht die National Portrait Collection derzeit 12,5m Pfund durch Spenden aufzubringen, um die endgültige Ausfuhr durch
 Privatkäufer zu verhindern und das Werk des Öffentlichkeit zugänglich zu machen . Wenn auch ein angesichts der derzeitigen Finanzlage öffentlicher Sammlungen wenig hoffnungsversprechendes Unterfangen, ist letzteres ein wiederholtes
Argument, um das Verschwinden massgeblicher Kunstwerke aus dem öffentlichen Auge in die privaten Sammlungen eines Dr. No, Le Chiffre oder Oberst von Hammerstein auf unabsehbare Zeit zu verhindern. Dabei stellt sich auch regelmässig die Frage nach der ursprünglichen Herkunft und womöglicher Restitution. Die ist am Ende aber selten klar zu beantworten, und man verfängt sich leicht in allen möglichen ethischen, politischen und kommerziellen Widersprüche – gerade in
Deutschland ein aktuelles Thema. Ausgerechnet Publikumsliebling George Clooney sorgte im weiteren Zusammenhang für gehobene
 
Augenbrauen als er anlässlich einer Pressekonferenz zum Start seines
Films The Monuments Men in London nach seiner Meinung zum Verbleib der Parthenonskulpturen – traditoneller Zankapfel und regelmässiger Ausgangspunkt für Profilierungsversuche griechischer und britischer Politiker – befragt wurde. Seine Antwort? Dass es
nett wäre, die „Pantheonskulpturen“ zurückzugeben (sic).

Mit Ausstellungen ist es manchmal wie mit den Londoner  Bussen. Man steht an der Haltestelle, wartet und wartet, eine Ewigkeit verstreicht, und plötzlich erscheinen sie, einer nach dem anderen, zwei, drei, vier, alle auf einmal. Somit, zum Ersten, zu Richard Hamilton, der „Pate“ der
Pop Art, und vor allem aufgrund seiner künstlerischen Beziehung zu Marcel Duchamp bekannt. Einen Gutteil seines künstlerischen Anspruchs bezieht er nämlich aus The Large Glass, einer (von drei)
originalgetreuen, und vom Künstler beglaubigten, Replik von Marcel Duchamps wunderbar enigmatisch-surrealistisch-unsinniger Schöpfung
La mariée mise à nu par ses célibataires, même. Lang überfällig war eine Behandlung seines Œuvre, nun zeigen die Tate Modern und das in den letzten Jahren krisengeschüttelte Institute of Contemporary
Arts an der Mall zeitgleich Ausstellungen. Die Frage im Titel einer seiner bekannntesten Kollagen,
Just what is it, that makes today’s homes so different, so appealing?, liesse sich auf sein Schaffen in ihrer Gesamtheit übertragen. Er hat die Frage einmal selbst wie folgt beantwortet:
populär (für ein Massenpublikum entworfen), vergänglich (kurzfristig), entbehrlich (leicht zu vergessen), kostengünstig, massengefertigt, jung (für die Jugend), witzig, sexy, effekthascherisch, glamurös und geschäftstüchtig.

Zum Zweiten Georg Baselitz, in den Verkaufsräumen um St. James
natürlich regelmässig präsent, aber im Frühjahr gleich drei Mal in London
ausstellungsmässig aufbereitet : mit Farewell Bill in der Gagosian
Galllery leistet er Tribut an eines seiner Vorbilder, Willlem de Kooning. Das Britische Museum zeigt 60 Zeichnungen  und Grafiken aus der Sammlung Dürckheim, Teil einer Stiftung an das Museum, die Hälfte davon von Baselitz. Und die Royal Academy, Ort der ersten grossen Baselitz-Retropektive in Grossbritannien im Jahr 2007, gibt ab Mitte März einen seltenen Einblick in eine ganz andere, unerwartete, Inspirationsquelle des Künstlers und zeigt seine Sammlung europäischer Holzstichkunst der Renaissance. Und beim Besuch der RAA sollte man sich die Schau Sensing Spaces nicht entgehen lassen – nicht immer gelungen, aber ein ungewöhnlicher, stellenweise gewagter Blick auf
Architektur, ihre Rolle und ihre Wirkung.

Die besten Ausstellungen und Exponate befinden sich jedoch häufig nicht in den grossen Sammlungen, sind, mangels Finanzen, nicht weit angekündigt und verschwinden allzu häufig ohne gross Aufhebens zu machen. Hörensagen, in seiner tradtionellen und modernen From, soziale Medien helfen da, oder manchmal einfach nur Glück. An dieser Stelle nur zwei Empfehlungen,  Ambika P3 und die Wellcome Collection. Erstere ein Ausstellungsforum für zeitgenössische Kunst und Teil der University of Westminster, einen Katzensprung gegenüber von Madame Tussauds in den geräumigen Kellerhallen eines Büroblockes gelegen; und letztere eine spannende Mischung aus Naturwissenschaft, Ethnografie und Kunst nicht weit von British Library und Euston Station.

Out of Ice ist die Installation der schottischen Künstlerin Elizabeth Ogilvie. An der Decke verankerte Eisblöcke schmelzen, dramatisch
beleuchtet, langsam in grosse Wasserbecken. Kameras übertragen die Muster der bewegten Wasseroberfläche an die umgebenden Wände. Gelegentlich lösen sich Fragmente vom Eis, und unterbrechen im Fallen die wispernde, plätschernde Stille. Der Effekt ist schwer in Worte zu fassen, dramatisch, poetisch bewegend.

Die Wellcome Collection, derzeit im Umbau begriffen, hat aus der Not ihrer Teilschliessung eine Tugend gemacht und zeigt in ihrem Obergeschoss eine Reihe zeitlich befristeter Austellungen. Star der Schau Foreign Bodies, Common Ground ist eine, wiederum schottische Künstlerin, Katie Sanderson. Fossil Necklace ist eine Halsperlenkette,
deren 170 Perlen, 1-2cm im Durchmesser aus verschiedensten Fossilien, minutiös geschliffen und aufgereiht. Grassamen, Mineralien, Mammutzahn, Knochen, Holz ..., mit immer wechselnder Oberflächenstruktur, Muster, Farbe und Taktilität. Das Ergebnis lässt sich als Zeitreise durch die Geschichte der Welt lesen, oder
als Kommentar zu Artenvielfat, natürlicher Selektion und Evolution, der
Wechselwirkung zwischen Natur und Mensch, gleichzeitig ästhetisches Erlebnis und philosophische Betrachtung. 

Und als Letztes wieder einmal der Barbican, genauer gesagt die Galerie in der Curve, wo nach dem Publikumserfolg von gitarrenspielenden
Zebrafinken und Regeninstallationen diesmal eine mulitdimensionale Installation der United Visual Artists mit Perzeption von Zeit, Raum und Bewegung spielt. Geeignet nicht nur für Cricketfans ...

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