Angenehmer Gegenpol
Man mag dieser Tage die Zeitung gar nicht mehr aufschlagen. Der FC Arsenal verliert nach 49 ungeschlagenen Spielen in Folge ausgerechnet gegen die Erzrivalen von Manchester United - Bayern München noch in unguter Erinnerung; John Peel, Kultdiscjockey stirbt; ein erneutes schweres Zugunglück ereignet sich, hierzulande ein Ereignis von geradezu unheimlicher Regelmässigkeit; Tony Blairs Versuche der Geschichtsklitterung nehmen immer eklatantere Formen an; und vom Ausgang des amerikanischen Wahlkampfes, von den Vorgängen in Irak und Palästina ganz zu Schweigen.
Es bleibt die Zuflucht in die Ausflucht, ins Kino - die exzellenten "Motorcycle Diaries" -, Fernsehen - die BBC-Serie "The Power of Nightmares"- , Radio - fast alles auf Radio Four -, Konsum - Weihnachten naht - und Kultur. Und für Abwechslung ist ja diesbezüglich durchaus gesorgt, mit Raphael in der National Gallery, Gwen Jones and Augustus John in der Tate Britain, Robert Frank in der Tate Modern, Italienische Stilleben des 20.Jahrhunderts in der Estorick Collection und der Rundumschlag vom Altertum zum Postimpressionismus mit der Ny Carlsberg-Sammlung in der Royal Academy. Auf der Flucht vor den Besucherströmen verläuft sich hier vielleicht ja auch der Eine oder Andere in die Werkschau eines weniger beachteten, und ganz und gar englischen Künstlers. William Nicolson (1872-1949) ist der Vater von Ben Nicolson, und ein Künstler jener, natürlich erst im Nachhinein so interpretierten Epoche der Abendröte Europas - wie sie aus Joseph Roths Romanen so vertraut ist, und wie sie durchaus so auch in England empfunden wird - 'Edwardian' heisst das hier und beginnt mit dem Ersten Weltkrieg.
Künstlerisch verbinden sich damit Namen wie Beerbohm, Whistler und Sargent, von denen Nicolson deutlich beeinflusst ist. Von dem Künstler- undKritikerkreis um Roger Fry hat er sich weitestgehend ferngehalten und so ist das Artquake, das die (umstrittene) Ankunft des Postimpressionismus und der nachfolgenden Bewegungen der Frühmoderne auf der Insel einleitet, an ihm überraschend spurlos vorübergegangen. Obwohl zu diesem Zeitpunkt erst 40 Jahre alt, und obwohl er bereits zuvor, um 1900, mehrere Jahre in Paris, dem kreativen Treibhaus jener Jahre, verbracht hatte, bleibt er auf unaufdringliche aber hartnäckige Weise altmodisch, oder zutreffender, gar keiner Zeitmode verhaftet. Der Vergleich mit dem gleichaltrigen Mondrian, und dessen rastloser künstlerischer Entwicklung, drängt sich auf. Auch inhaltlich enthält er sich weitestgehend des Bezugs zu Zeitereignissen. Drei Werke, das monumentale Gemälde "Der Kanadische Generalsstab", "Tanzsaal während Luftangriff" und "Die Nacht des Waffenstillstands"bilden umso bemerkenswertere Ausnahmen. Hier zeigt er sich als fesselnder und dynamischer Künstler, enthält sich allerdings wiederum jeglicher Wertung und jeglichen Kommentars. Der Verdacht drangt sich auf, dass die ihm oft vorgeworfene Unverbindlichkeit und lässige Eleganz durchaus Absicht war, um sich gezielt abzugrenzen von den sich so lautstark gebärdenden -ismen und Diskussionen der Zeit.
Das stellt sich beim Besuch der Schau durchaus nicht als Manko heraus. Auf ihre Weise wirken die Werke, gut 100 sind in den drei Sälen im Obergeschoss des Sackler Wings präsentiert, zumindest seiner frühen und mittleren Phase frisch und unverbraucht, eine kleine Entdeckung. In seinen späten Jahren, der dritte Raum, schlägt das allerdings in Unverbindlichkeit, oder harscher ausgedrückt, Bequemlichkeit um. Die Farbpalette gleitet ab ins Pastellig-Fahle, und die ausgestellten Objekte wirken mit wenigen Ausnahmen uninspiriert, wie lieblos hingeworfen, von besserer Royal Academy Sommerausstellungsqualität. Man mag sich fragen, ob sein finanzieller Erfolg dafür verantwortlich war, ein zugegebenermassen ebenso bequemes Klischee.
Diesen Erfolg verdankte er vor allem seinen Porträts, Stilleben und Landschaften in Raum 1 und 2. Ein typischer Handgriff ist es dabei, die abgebildeten Personen nicht frontal oder im Profil darzustellen, sondern in leichter Rückenansicht wie bei Rudyard Kipling oder Marie, seiner langjährigen Geliebten. Dabei hat er sich mit witzigen Nebenprodukten für jene von ihm häufig als lästig und uninspirierend empfundenen Auftragsarbeit entschädigt. Das Abbild der in hortikluturellen Kreisen wohlbekannten Gertrude Stein hängt beispielsweise neben dem Porträt ihrer Arbeitsschuhe; so originalgetreu und unvermittelt hingestellt, man vermeint noch das Keuchen der sich im Hintergrund zum Porträt entfernenden betagten Dame zu vernehmen. Ein eher unkonventionelles Stilleben verglichen beispielsweise mit der "Silberschale mit grünen Bohnen", Signaturstück des Künstlers. Wie seine Landschaften erzielt es durch die im Detail relativ sparsamen, aneinandergesetzte Farbflächen einen geradezu spektakulären Effekt.
Stellvertretend für seine Aktivitäten als Buchillustrator - er selbst veröffentlichte in späteren Jahren etliche Kinderbücher - zeigen ihn seine Arbeiten für ein ABC-Buch als versierten und witzigen Illustrator. "S was a sportsman" ist ein gar nicht sportlicher, übergewichtiger Gentleman und "Y was a Yokel" ein im heutigen Verständnis politisch gänzlich unkorrekt dargestelltes Landei. Gemeinsam mit seinem Schwager James Pryde betrieb er in den 90er Jahren des 19.Jahrhunderts eine Plakatherstellung. Der kleine Betrieb musste nach wenigen Jahren die Segel streichen, den internationalen Vergleich musste er dennoch nicht scheuen, wie das ausgestellte Plakat "Don Quichote" unterstreicht.
Die Werkschau dieses so offensichtlich auf Understatement bedachten Künstlers
William Nicolson (1872-1949). British Painter and Printmaker, RA, bis 23.Januar 2005, Eintritt £7, Katalog Colin Campbell et al., 173 S., zahlreiche meist farbige Abb., £19.95.
© Dirk Bennett 2003