Botticellis Muse


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Sie war eine gefeierte Schönheit, Mittelpunkt der Florentiner High Society, Stoff von Träumen, Gedichten und Gesängen, und, so die Legende, das verklärte Lieblingsmodell Botticellis.
Es ist Ende April 1476. Florenz zerfliesst in Tränen. "La Bella Simonetta" ist tot und ein schier endloser Trauerzug bewegt sich durch die Strassen der Stadt, in seinem Gefolge Tausende von Trauergästen; die Mächtigen und die Reichen, die Gelehrten und die Künstler; die Medicis - an ihrer Spitze Lorenzo il Magnifico und sein Bruder Giuliano -, Botticelli, Poliziano, Naldi, Bibbiena, die Orsinis und die Vespuccis. Die gemeinen Bürger der Stadt säumen die Strassen und gaffen. In einem offenen Katafalk wird Simonetta Vespucci, geborene Cattaneo, gefeierte Schönheit, gerade einmal 23 Jahre alt und von der Schwindsucht dahingerafft, vorbeigetragen. Lorenzo de Medici selbst hat die öffentliche Reaktion in seinem "Comento de miei Sonetti" beschrieben "Es starb aber in unsrer Stadt, wie wir zuvor gesagt haben, eine Dame, deren Tod das Mitleid der gesamten Bevölkerung von Florenz hervorrief. Es ist dies kein grosses Wunder, da sie wahrlich mit solcher Schönheit und menschlicher Noblesse versehen war, wie niemand zuvor ... und da sie offen von ihrem Hause zu ihrer Begräbnisstelle getragen wurde, wurden all die, die sich versammelt hatten um sie zu sehen zu einer Unzahl von Tränen gerührt..." Ihm schliessen sich die Dichter der Stadt in der allgemeinen Trauer an und verfassen Elegien, Lieder und Inschriften, die voller Wehmut ihre Schönheit und ihren Charme rühmen. Man kann das Ausmass der Hysterie, der Tränen und der Gerüchte, Jahrhunderte vor Princess Diana, nur vermuten, , "... und Giuliano ihr Liebhaber Seite an Seite mit ihrem Ehemann! Schamlos und schau, wie er weint. Oder Botticelli, der Maler, "Man kennt sie ja, die Künstler. Er soll sie ja ohne Kleider und ... Aber welch ein fescher Mann"." Ein Gerücht besagt, dass zum Zeitpunkt ihres Todes ein neuer Stern am florentinischen Nachthimmel erschienen ist.
Aus den davorliegenden Wochen sind die Briefe ihres Schwiegervaters Piero an Lorenzo de Medici erhalten, die ihr Ringen mit der Krankheit, den verzweifelten Kampf um ihr Leben, ihren allmählichen Verfall und, wenige Tage vor ihrem Tode, kurzfristige, trügerische Besserung und Hoffnung beschreiben - Lorenzo schickt sogar seine Leibärzte zur Behandlung. Wie sich die Verhältnisse geändert haben. Noch wenige Monate zuvor, im Juni 1475 war sie der Mittelpunkt der allgemeinen Adulation gewesen, hatte Giuliano de Medici anlässlich eines Turniers - offiziell zur Feier eines Friedensschlusses zwischen Mailand, Venedig und Florenz - die Farben der Simonetta Vespucci, der "Sans Pareille" vertreten. Sein Banner mit ihrem Abbild als die Göttin Athene hatte Botticelli angefertigt, der "Hofdichter" Ambrosio Ambrogini, genannt Poliziano, ein umfasssendes (und nie veröffentlichtes) Versepos verfasst, das die Liebe zwischen dem Mediciprinzen und der Bürgertochter feiert - ob hohe Minne oder tatsächliches Liebesverhältnis, darüber streiten die Gelehrten. Darin vergleicht er die Simonetta mit dem Frühling, mit Venus, die sich dem Mars zuneigt - unschwer lässt sich das literarische Vorbild zu den Gemälden der Zeit erkennen.
Es ist eines jener Spektakel, wie sie uns zur gleichen Zeit beispielsweise vom prachtliebenden Hof des Herzogtums Burgund bekannt sind. Ein Spektakel, das gleichermassen Antike, legendäre mittelalterliche Frühzeit und cristliche Inhalte zu vereinen sucht, und das die Renaissance zu einer für den modernen Betrachter häufig verwirrenden, widersprüchlichen Epoche machen, gleichzeitig rückwärtsgewandt und modern. Es ist das Zeitalter von Minnesang und Condottiere, religiösem Schwärmertum und Neuplatonismus, Kalkül der Macht, technologischem Fortschritt, Forscherdrang, Inquisition und Buchdruck, italienischer Renaissance und nordeuropäischer Spätgotik. Es ist das Zeit der Eroberung Konstantinopels, die Hoch-Zeit Burgunds und der flandrischen Städte, des Aufstiegs Frankreichs, der Entdeckung Amerikas. In Italien ist es eine Periode der dem Friedenschluss von Lodi folgenden Blüte der Stadtrepubliken und ihres Widerstandes gegen spanische, deutsche und französische Einflussnahme. An ihrer Spitze steht Florenz, in den 70er Jahren bereits fest in der Hand der Medici. Lorenzo, seit 1469 an der Spitze des Staastwesens, festigt die von Piero und Cosimo begründete Herrschaft, und macht Florenz zu einem Zentrum der Wissenschaften, des Finanzwesens und der Kultur.
Eine der hier ansässigen Familien von reichgewordenen Handelsherren sind die Vespuccis. 1468 lernt der fünfzehnjährige Marco Vespucci die gleichaltrige Simonetta Cattaneo - geboren ist sie 1453 in eine Familie von hoher Herkunft in Genua und im Gefolge einer jener zeittypischen und endlosen innenpolitischen Zwistigkeiten exiliert - in Piombino kennen, heiratet sie und führt sie nach der Rückkehr des jungen Paares um 1472 in die florentinische Gesellschaft ein.
In jenen Jahren schafft Domenico Ghirlandaio in Florenz in der Familienkirche der Vespuccis, S.Salvatore Ognissanti - an der heutigen Piazza Ognissanti, unweit des Ponte Vecchio flussaufwärts am Arno gelegen - ein Bild der Familie Vespucci unter dem Schutz einer Mantelmadonna. Zeitgenössischen Quellen zufolge zeigt sie unter anderem ein Porträt Amerigo Vespuccis, des späteren Seefahrers und somit entfernter Verwandter Simonettas, zu diesem Zeitpunkt um die 18 Jahre alt. Rechterhand befindet sich aber auch das Abbild einer jungen, in etwa zwanzigjährigen Frau, blond mit hochgesteckten Haaren in der zeitgenössischen Tracht. Naheliegend, dass verschiedentlich versucht worden ist sie mit Simonetta zu identifizieren. Die Identifizierung Simonettas in zeitgenössischen Kunstwerken hat Tradition, und renommierte Kunstführer wie der Dumont'sche - und viele andere - haben diese Zuschreibung auch mehr oder minder kritiklos übernommen. Das Genie seiner Zeit, Leonardo, Piero di Cosimo und vor allem Botticelli und seine Werkstatt sollen ihr Abbild in zahllosen Porträts und Gemälden verwandt haben. Unter anderem soll die Primavera im "Frühling" verkörpern, nach anderen Theorien eine der Grazien im gleichen Gemälde, die Venus in der "Geburt der Venus", die Venus in "Venus und Mars" - der Mars trägt hier nachweislich die Züge ihres angeblichen Liebhabers Giuliano de Medici -, Athene in "Pallas und der Kentaur", die Wahrheit in der "Calumnia di Apelles", Dantes Beatrice in Botticellis Illustrationen zur "Göttlichen Komödie", und sie soll das Vorbild für eine Handvoll von Frauenporträts aus Botticellis Werkstatt geliefert haben - kaum ein Gemälde aus dem Umkreis des Malers, das das nicht auf die eine oder andere Weise mit der Schönen in Verbindung gebracht wurde. Botticelli soll so auf sein Modell fixiert gewesen sein, dass er sogar testamentarisch darum bat, zu ihren Füssen in Ognisanti begraben zu werden.

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Die Quellen bestätigen, dass zeitgenössische Porträts der Simonetta existiert haben, was kaum Wunder nimmt angesichts ihres sozialen Ranges und offensichtlichen Erfolgs in der florentinischen High Society. Botticelli fertigte für das grosse Turnier des Jahres 1475, wie erwähnt, ein Banner mit ihrem Abbild an. Ein Brief ihres Schwiegervaters Piero an Lorenzo erwähnt, dass er dem trauernden Giuliano von Medici ihr Bild geschenkt habe "…Ich hatte solches Mitleid mit ihm, er erregte solchen Kummer, dass mein Sohn und ich, um ihn glücklich zu machen und ihm Gutes zu tun, alles taten ihm zu Gefallen zu sein, ganz so wie es seine Güte, Korrektheit und seine hohe Herkunft verdienten. Wir gaben ihm all Simonettas Kleider und ihr Bild …" Und Vasari erwähnt in seiner Vita Botticellis, zugegebenermassen etwas vage "...zwei sehr schöne Frauenköpfe im Profil von Botticelli, wovon einer die Geliebte von Lorenzos Bruder Giuliano darstellen soll ..." Ausserdem ist da der bei aller Idealisierung zweifellos portäthafte Charakter der Botticelli-Nymphen, Grazien und Göttinnen, leicht nachzuvollziehen beim Gang durch die Uffizien. Man mag sogar versucht sein, an der Venus und dem Frühling, beide nach Mitte der 70er Jahre des 15.Jahrhunderts entstanden, das Krankheitsbild der Tuberkulose zu entdecken. Blässe und rote Wangen als Symptome der Schwindsucht, oder doch eher zeitgenössisches Schönheitsideal?
Im Ganzen fehlen jedoch direkte zeitgenössische Belege, und selbst bei Gemälden, bei denen sich die Forschung scheinbar auf sicherem Grund bewegt, ist Vorsicht angebracht. Bei Piero di Cosimos mit einer entsprechenden Inschrift versehenes Porträt "Simonetta Vespucci als Kleopatra" erwies sich nach genauerer Untersuchung, dass die Inschrift ein Jahrhundert jünger ist als das Werk selbst.
Dem Ursprung dieser Legende auf die Spur zu kommen erfordert etwas forschungsgeschichtliche Detektivarbeit. Wie so oft führt diese Spur ins 19.Jahrhundert, das Zeitalter einer ganz anders gearteten Renaissance und künstlerischen Wiederbelebung vergangener Epochen, dem Historismus. Es mutet aus heutiger Sicht erstaunlich an, dass Botticelli bis ins spätere 19.Jahrhundert nahezu vergessen war und ausserhalb der Fachwelt so unbekannt, dass seine Werke häufig mit denen Mantegnas verwechselt wurden. Seine Wiederentdeckung erfolgte erst in den 80er Jahren mit Aufsätzen von St.John Tyrwhitt und John Ruskin. Ein Aufsatz Achille Neris im "Giornale storico della letteratura italiana" von 1885 legt den endgültigen Grundstein für den Simonetta-Mythos - er erwähnt Piero di Cosimos "Porträt" -, der von dort aus, dem Schneeballprinzip folgend, sich ausweitet und den wissenschaftlichen (?) Bereich verlassend schliesslich Eingang in die Populärliteratur findet - womit nicht lediglich die Reiseführerliteratur gemeint ist, sondern auch die Belletristik. Hewletts "How Sandro saw Simonetta in the Spring" macht den Anfang, es folgt Lefevres "Simonetta" und als jünstes Beispiel Burns "Sandro and Simonetta".
Was bleibt also von einer charmanten und faszinierenden Legende? Ganz offensichtlich beschäftigt sie immer noch die Nachwelt und so blickt sie uns, unsere Fantasie beflügelt von den Ergüssen von Generationen von Forschern, Künstlen und Dichtern eigenartig lebendig von irgendwo aus den jahrhundertealten Gemälden an. So können wir uns vorstellen, dass an einem sonnigen Nachmittag vielleicht im April oder Mai 1475 der 30-jährige Botticelli - rotblond, kräftig, leicht untersetzt, wie er sich selbst in der "Anbetung der Heiligen Drei Könige" aus der Mitte der 70er Jahre abgebildet hat - im Stadtpalast der Vespucci vorspricht, um die 22-jährige Simonetta für das bevorstehende Turnier zu porträtieren. Sie setzt sich in Positur "Ein wenig nach rechts wenns beliebt, Madame, ins Licht, das bekommt ihrem blonden Haar und ihrem Teint. Und nun bitte ruhig sitzen, den Kopf ein wenig geneigt, " Sie sprechen ihren florentinischen mit Latein versetzten Dialekt, wie wir ihn aus den Gedichten Polizianos kennen, unterhalten sich über das Wetter, die Mode, ein wenig über Stadtklatsch, Politik, den Friedenschluss mit den norditalienischen Städten, über Giuliano de Medici und das bevorstehende Turnier.

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© Dirk Bennett 2003