J'aime pas ... Magritte



Magritte (2K)

Es ist geradezu eine Saison der Wiederentdeckungen in Paris. Da wären einmal die 70er Jahre, die hierzuland' derzeit fröhliche Urständ feiern, auf France 3 - und auf TF 1 und 2, und M6 - mit Ikonen der Geschmacklosigkeit wie Daktari, Boney M., Amanda Lear und Lavalampen. Die Fondation Renault hat jüngst Victor Vasarely, einem der Künstler, dessen ornamental-geometrisches Oeuvre nicht wegzudenken ist aus jener Zeit, eine kleine - und von der Allgemeinheit mit Wohlgefallen aufgenommene - Retrospektive gewidmet. Deneben gab es reichlich schwere deutsche Expressionistenkost mit Max Beckmann und Otto Dix im Centre Pompidou und Christian Schad im Musée Maillol.
Leichter Verdauliches findet sich im Jeu de Paume, mit Magritte. Es ist ein recht surrealistische Gelegenheit, die erste Gesamtschau seit 23 Jahren - man darf vermuten, ihm hätte das gefallen. Das pure Gegenteil des Stereotyps vom faden Belgier nahm nichts so recht ernst - in der Kunst jedenfalls - und trieb überall mit der verborgenen, vermeintlichen oder gar nicht vorhandenen Bedeutsamkeit sein Spiel. Überhaupt scheint es in dem ganzen Drumherum um seine Kunst Besuchern und Kritikern in gleicher Weise ein bisserl der Humor abhanden gekommen zu sein. Blickt man denn genauer hin, hinterfragt und bohrt man deutschlehrerhaft nach, interpretiert man fleissig, wie es einem in der Schule beigebracht worden ist, dann bietet sich natürlich Mehrdeutiges genug. Das fängt nicht erst mit dem - nach- und gelegentlich unerträglich philosophisch, soziologisch, psychoanalytisch, metaphorisch und vielleicht auch zeitkritisch-semantisch-semiotisch-wasweissich herumgedeuteten - "C'est pas une pipe" an. In Wirklichkeit ist es das Bild einer Pfeife und nicht die Sache selbst, ein typisch Magritte'sches Motiv, das mit dem sein Spiel treibt, was den augenzwinkernden Kern (metaphorisch gesehen) seines Schaffens ausmacht, nämlich das Verkehren von Worten und mit Bildern, das Vertauschen von Sinnebenen, ein geradezu Valentinsches Wechselstabenverbuchseln, übertragen auf die Skulptur und Malerei - und das wäre natürlich schon wieder eine Interpretation. Einmalig und unbestritten bleibt dabei, wie genau er den empfindsamen Nerv der Zeit, ja des Jahrhunderts getroffen hat, und von welch bleibendem Einfluss er auf Generationen von Künstlern und auf die Sehgewohnheiten des modernen Publikums geblieben ist.
Die Schau in der Galerie mit einem der eigenartigsten Namen in Paris - "Jeu de Paume" kommt von dem tennisähnlichen Ballspiel, das hier die französischen Könige betrieben wurde - erstreckt sich, in grob chronologischerOrdnung, über zwei Hauptschaffensperioden, 1925-48 und 1949-67, auf die oberen zwei Stockwerke des Bauwerks verteilt, und im Erdgeschoss Collagen, Objekte und Fotografien. Ziel der Schau ist jedoch nicht die historische Entwicklung und die Chronologie seines Oeuvres, sondern die Technik und Systematik seines kreativen Prozesses aufzuzeigen. Zwischen den beiden Abteilungen kommt es dazu verständlicherweise zu Überschneidungen. So wird klar, dass er sich immer wieder auf die ähnliche Motive, auf frühere Versuche und Entwürfe zurückbezieht, und sie in zahllosen Interpretationen, quasi eines Leitthemas, wieder und wieder neu erforscht und auf immer neuen Anwendungsmöglichkeiten stösst. "Le Modèle Rouge" beispielsweise, dem er Schuhe in Form menschlicher Füsse verpasst taucht 1935 auf, und erneut 1947; ein menschliches Gesicht in Form eines weiblichen Körpers, "Le Viol", verwendet er 1934 und 1959, 25 Jahre später; "L'Appel des Cimes", das Bild eines vor einer Alpenlandschaft stehenden Bildes eben jener Alpenlandschaft, scheinbar in sie übergehend, erscheint 1943, und nach demselben Prinzip bereits 1931, und danach wieder 1948. Ein weiteres wohlbekanntes und wiederkehrendes Magrittesches Leitmotiv ist das kindliche Spiel mit Bedeutungen - kein Kinderspiel! -, siehe "La lef des Songes" (1935). Indem er Dinge einfach umbenennt, ein Hund ist ein Löffel, ein Dach eine Trompete, ein Buch eine Zahnbürste, eine Pfeife keine Pfeife undsoweiter, bieten sich schier unerschöpfliche Möglichkeiten. "C'est pas une Pipe" findet noch im Jahr 1960 in dem Bild eines Apfels und "This is not an apple" seinen selbstironische Wiederholung - "Force de l'Habitude" der Titel, als ob er aus Gewohnheit schon gar nicht mehr anders könne.
Es wird immerhin deutlich, dass sich im Werk Magrittes durchaus eine Entwicklung ablesen lässt. Bereits früh lässt er eine Faszination an der Mehrdeutigkeit von Bildern erkennen. Der Titel eines Werkes von 1935 lautet gar "Trahison des Images" - "Der Trug der Bilder". Verglichen mit dem später immer mehr verfeinerten Spiel mit Neuinterpretationen, Selbstzitaten, Wortspielen muten diese jedoch noch wie Fingerübungen an.
In stilistischer Hinsicht entzieht er sich hartnäckig kunsthistorischer Zuordnungssucht. Vielleicht wäre es ein fruchtbareres Unterfangen eine alternative Kategorisierung beispielsweise nach Titelwahl zu entwerfen - wie wäre es zum Beispiel mit "frühe Psychoanalyse" (Voix du Sang, Sans Famille, Le Seducteur), "historische Periode" (Le Bataile de l'Argonne, Madame Recamier), "Rückkehr zur Natur" (L.Arbre de la Science, Les Graces Naturelles) und "Unverständliches" (der Rest)? Am Schluss der Schau, d.h. ca. 150 Objekte später wird man seiner Arbeitsweise und Technik ein wenig näher gekommen sein, letzlich entzieht sich aber der Mann selbst wieder einmal dem endgültigen Verständnis.
Sein Einfluss bleibt. Geradezu ein Magrittesches Schulparadox ist nämlich der Titel einer hier in aller Kürze zu erwähnenden, Schau, die derzeit in Nordparis, am Bassin de la Villette ihre Zelte aufgeschlagen hat - was fast wörtlich zu nehmen ist. "J'aime pas la Culture" (mit durchgestrichenem "pas") ist eine Wanderausstellung, die, nach beträchtlichen Erfolg in Brüssel, noch bis Ende März in Paris gastieren wird. Sie bietet eine Reise durch ein imaginäres Stadtviertel irgendwo in Mitteleuropa, kopfsteingepflastert, verwinkelt, mit Arkaden, Hinterhöfen und Buden. Musik spielt im Hintergrund, Filme werfen ihren Widerschein an Hauswände, irgendwo ist eine politische Rede zu vernehmen. Gleichzeitig ist es eine Wanderung durch die Kultur des 20.Jahrhunderts. Da gibt es Buchhändler, Musikläden, Theater, Kinos und Galerien, in denen ein Abriss des jeweiligen Genres geboten wird. Gerahmte Bildschirme in der Kunstgalerie geben den Eindruck einer Ausstellung, geben jedoch Einführungen in die wichtigsten Strömungen des 20.Jahrhunderts, von den frühen "-simen" - Kubi-, Futur-, Dada- und Surreal- - bis hin zu modernen Richtungen und Genres wie Performance, Body Art und Video Art. Insgesamt ist es ein Konzept so einfach und dabei - in absichtsvollem Widerspruch zu ihrem Titel - so charmant und anregend realisiert, dass man gerne seinen notwendigermassen etwas kursorischen Charakter in Kauf nimmt.
Magritte. Jeu de Paume, bis 9.Juni, 8 Euro, Katalog Michel Butor et al., Magritte, Galerie Nationale de Jeu de Paume/Ludion Edition, 304 S., 35 Euro.
J'aime pas la Culture, 68 quai de la Seine, 75019 Paris (Bassin de la Villette), 9 Euro, kein Katalog.

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© Dirk Bennett 2003