William Hamilton
Zu Unrecht verdeckt die inzwischen schon literarisch gewordene Affäre zwischen dem Admiral, Nelson, und seiner Frau, Emma, den dritten Beteiligten, den Ehemann, William Hamilton. Er war weit mehr als nur der gehörnte Leidtragende, wenn auch die zeitgenössische "gute" Gesellschaft weit regeren - und wie es so üblich ist, genüsslich-boshaften - Anteil an seinem Privatleben nahm; nämlich Offizier, Diplomat, Kunstsammler und Mäzen. Manche Stimmen behaupten sogar, er sei schliesslich an gebrochenem Herzen gestorben. Romantische Ausschmückung oder nicht, eine geschmacklose Angelegenheit allemal: Frau und Liebhaber waren anwesend, als er am 6.April 1803 in London seinen letzten Seufzer tat. Ironie des Schicksals, dass sein Leben enden sollte wie es begonnen hatte: umgeben von mysteriösen und leicht anrüchigen Umständen - auf jeden Fall Stoff genug für boshaften Klatsch und Tratsch.
Wie sein ebenfalls als Sammler(!) von Antiquitäten berühmt gewordener Zeitgenosse, Lord Elgin, den er übrigens 1800 in Sizilien traf, als dieser sich auf seiner Reise nach Konstantinopel befand, stammte Hamilton aus Schottland. Seine Mutter war angeblich die Geliebte des Kronprinzen, und somit umgab den kleinen William, 1730 geboren, die geheimnisvolle Aura der möglichen hohen Geburt. Wie dem auch sei, zu belegen ist eine solche Affäre seiner Mutter nicht, und für uns wohl auch gänzlich uninteressant. Er durchlief jedenfalls die übliche Ausbildung eines jungen Adeligen, d.h. ein wenig Schule und viel Militär. Zu viel für seinen Geschmack, daher beschloss er relativ bald, sein Glück in der Politik zu versuchen. Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche politische Karriere war im 18.Jahrhundert nicht anders als heute: Geld, und der übliche Weg, sofern das Familienvermögen wie in unserem Fall nicht ausreichte, eine "Marriage of Interest". Eine Kandidatin war schnell ausgemacht, die attraktive, jedoch kränkliche, Charlotte Barlow, Erbin eines beträchtlichen Vermögens.
Als 1763 der Posten eines Gesandten im Königreich Neapel frei wird, bewirbt sich denn Hamilton, erhält die Stelle und trifft am 17.November 1764 mit Frau und Sack und Pack in der Stadt am Vesuv ein. Man mag als die als Beweggrund vielzitierte Sorge um Charlottes Gesundheit bei seiner Entscheidung bezweifeln, immerhin erholte sich die Stadt von den Nachwirkungen von Hungersnot und Pest, die hier bis vor kurzem getobt hatten. Auf der anderen Seite hatte Karl III. Palermo als Regierungszentrum aufgegeben und ein umfängliches Wiederaufbauprogramm in Neapel initiiert. Die Hofarchitektenfamile Vanvitelli (Nachkommen des niederländischen Malers Gaspar van Wittel) bauten die neue Hauptstadt des sizilischen Königreiches aufs prachtvollste aus. Schnell wurde sie ein Zentrum nicht nur für Politiker und Diplomaten. Die Entdeckung von Herkulaneum und Pompeji, archäologische Stätten wie Paestum und nicht zuletzt die Tätigkeit der Königinnen, zunächst Maria Amalia, Tochter August des Starken, und später Maria Carolina, Tochter Maria Theresias machten die Stadt zum Mekka auch für Kulturreisende, von den berühmt-berüchtigten englischen Grand Touristen angefangen bis hin zu Kaufmann, Tischbein und Goethe.
Seine Tätigkeit als britischer Gesandter - und Spion - liessen ihm im Übrigen mehr als genügend Zeit und Muse seinem Interesse für antike Kunst und Kultur nachzugehen. Er verfolgte die Ausgrabungen in der Umgebung mit Interesse und Kritik, stand in regem Kontakt mit Forschern wie z.B. dem Padre Piaggio, der den Mechanismus erfand, mit dem die in der Villa dei Papiri entdeckten Schriftrollen Millimeter für Millimeter abgerollt wurden. Er kommunizierte mit Winckelmann, traf sich mit Wilhem Tischbein, und berichtete regelmässig für die London Society of Aniquaries. Seine von Pietro Fabri illustrierten Berichte sind unmittelbare Zeitzeugnisse des Fortschritts der Ausgrabungen in Pompeji.
Vor allem aber sammelte er. Der letzte Schrei waren Vasen. Etruskische und römische Vasen, als die sie damals angesehen wurden, füllten die Kollektionen des Neapolitaner Adels. Es ist nun das zweifellose Verdienst Hamiltons, diese Zuschreibung, gestützt auf seinen Erfahrung als Sammler zu korrigieren. Bereits lange vor der Publikation seiner eigenen Sammlungen führten seine Untersuchungen und der Vergleich mit den Ausgrabungsergebnissen in den Vesuvstädten zu dem eindeutigen Schluss, dass die begehrten Kratere, Oinochoen und Peliken griechischen Ursprunges sein mussten.
Vergeblich versuchte sich der englische Sir von seiner Sammelsucht frei zu machen, und verkaufte 1772 seine erste Kollektion an das Britische Museum. Bereits kurze Zeit später durchreist er Unteritalien wieder auf der Suche nach neuen alten Stücken. Diese zweite Sammlung wird 1801 in London an Thomas Hope verkauft und verbleibt in Familienbesitz bevor sie 1917 versteigert und in alle Himmelsrichtungen zerstreut wird.
Seine Sammlungen waren in der Tat so umfangreich und berühmt, dass Durchreisende selten versäumten bei William undoder seiner reizenden jungen Frau - Charlotte war 1782 gestorben, und 1786 hatte Hamilton Emma Hart in einer reichlich unsauberen Aktion von seinem Neffen Charles Greville, dem sie zu teuer geworden war, "übernommen" und schliesslich geheiratet - vorbeizuschauen. Was lag also näher als seine Reichtümer der Öffentlichkeit vorzustellen.
Die Publikation der ersten Kollektion wurde von einer rechten Rokokogestalt, Baron d'Hancarville - eigentlich Pierre Francois Hugues, Sohn eines bankrott gegangenen Tuchhändlers - unter dem Titel "Antiquites Etrusques, Grecques et Romaines. Tirees du Cabinet de M.Hamilton Envoye Extraordinaire et Plenipotentiaire de S.M. Britannique en Cour de Naples" in vier Bänden von 1767-1780 besorgt. Zweifellos interessant, umstritten, lesenswert, jedoch eher ein Vehikel seiner eigenen unkonventionellen Gedanken zur Kunstgeschichte als eine angemessene Präsentation der Hamiltonschen Schätze. Die zweite Kollektion veröffentlichte, wesentlich nüchterner und zielstrebiger, Wilhelm Tischbein 1791-1800. Diese drei Bände wurden ein grosser Erfolg, und blieben nicht ohne Einfluss auf die zeitgenössische Gesellschaft: Joshua Wedgwood liess sich beim Entwurf seiner Service wesentlich von den hier gezeigten Dessins inspirieren.
Die 90er Jahre in Süditalien gleichen dem sprichwörtlichen Tanz auf dem Vulkan, diesmal jedoch nicht der Vesuv, sondern die politischen Umwälzungen (die Königin war die Schwester der unglückseligen Marie Antoinette!): Umzug des Hofes nach Caserta, Bälle, ein stetig wachsender Verteidigungshaushalt, Bälle, der Krieg mit Frankreich, Bälle und schliesslich, endgültig 1799 Revolution in Neapel, französische Invasion und Flucht nach Sizilien (auf Nelsons Flaggschiff- Beginn der persönlichen Tragödie).1800, Hamilton legt offiziell sein Amt als Botschafter nieder und kehrt, nunmehr siebzigjährig, und wir dürfen vermuten vom Eheleben reichlich desillusioniert, für seine letzten zwei Lebensjahre nach London zurück.
Seine Verdienste um die Erforschung unteritalischer Keramik haben ihn weit überlebt, und er spielt für das Fach eine ähnliche, wenn auch nicht so vordergründige und häufig umstrittene Rolle wie Lord Elgin, Edward Gibbon oder die Gentlemen von der Society of Dilettanti für ihre jeweiligen Bereiche.
I. Jenkins, K. Sloan, Vases and Volcanoes. Sir William Hamilton and his collection, Ausstellungskatalog BM 1996.
© Dirk Bennett 2003