Alas poor George




Porphyrie: erblicher Enzymdefekt oder erworbene Stoffwechselstörung mit gestörter Porphyrin-Synthese im blutbildenden System und/oder in der Leber, wodurch es zu abnormer Bildung, Ablagerung in verschiedenen Organen u. pathol. Ausscheidung bzw. deren Vorstufen kommt. Die Symptome bestehen in den allermeisten Fällen aus intensiven und langanhaltenden Bauchschmerzen, die in den Rücken und die Oberschenkel ausstrahlen können, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung und weniger häufig Hypertonie, Tachykardie, Schwitzen, Blässe und Fieber. Man sollte auf das Erscheinen von neurologischen Zustandsbildern gefaßt seiin (Roche Lexikon Medizin, ww.gesundheit.de).
In die Geschichte eingegangen ist Georg III als der verrückte König, der die amerikanischen Kolonien für England verloren hat. Die ganze Angelegenheit ist ein Paradebeispiel moderner Legendenbildung - im Januar 1966 veröffentlichte das renommierte Fachmagazin British Medical Journal einen Artikel, der die 'Madness of King George' auf jener Stoffwechselstörung zurückführte. Dass diese Theorie durchaus nicht unumstritten ist, ging in der Folge und für ein allgemeines Publikum gänzlich unter, und diente schliesslich und endlich auch als Grundlage jenes erfolgreichen Films aus den mit-Neunzigen mit Nigel Hawthorne in der Titelrolle. Inzwischen gilt die Erkrankung des Königs und als Folge seine geistige Umnachtung als historisches Fakt.
Und auch in der Interpretation der Ursachen der Boston Tea Party und somit des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges divergiert die Forschungsmeinung beträchtlich. Die Rolle des britischen Königs dürfte dabei auch wesentlich geringer gewesen sein als gemeinhin angenommen, war doch Grossbritannien in den mit-60ern des 18. Jahrhunderts längst eine repräsentative Monarchie und politische Entscheidungen trafen ein Pitt, Grenville, North oder Grafton und nicht das nominelle, gekrönte Staatsoberhaupt.
Wie dem auch sei, die Persönlichkeit Georg III tritt hinter diesen Phänomenen jedenfalls weit zurück, ein Umstand dem die Ausstellung im Buckingham Palace abzuhelfen anstrebt. Es mag in diesem Zusammenhang von zusätzlichem Interesse sein, dass die Anlage unter seiner Regierung als Queen's House, d.h. als Palast der Königin etabliert wurde.
Es niebelschützt derzeit geradezu durch die Säle der 2002 eröffneten Queen's Galleries; und alle Augenblicke erwartet man einen jabot-, und Justaucorps-gewandten himmelblauen Kammerherrn, wie er in grau gepuderter Perücke mit der Tabatiere in der Hand, elegant-gelangweilt, die Lorgnette zierlich vor sich hinhaltend, eines der zahlreichen Gemälde inspiziert. Georg und Charlotte waren Sammler und Mäzene - und, um einen, noch unbelasteten Begriff der Zeit zu verwenden, Dilettanten im besten Sinne. Beide waren Musiker, Charlotte's Spinett und Georgs Porzellanflöte aus Meissen sind zu sehen, und es ist belegt, dass sie manchen trauten Abend bei königlicher Hausmusik verbrachten. Eines der grossen Hobbies des Königs waren Bücher, wie ein wundervoller Mahagonibücherschrank - samt Inhalt - von William Vile und John Bradburn belegt. Sein umfassender Nachlass formte 1823 den Kernbestand der British Library. Daneben sammelte er Uhren und mechanische Apparate, ganz offensichtlich eine Modererscheinung, die er unter anderem mit seinem unglücklichen Zeitgenossen, dem französischen König, Ludwig XVI. teilte. In der Graphikabteilung sind darüber hinaus einige architektonische Zeichnungen von der Hand Georgs III. zu sehen. Horace Walpole bemerkte anlässlich des Regierungsantrittes süffisant, dass Bauen des jungen Königs Lieblingsbeschäftigung sei - mit was sich der alte Spötters hier im Einzelnen trug, ist nicht bekannt. Die Begründung der Royal Academy erfolgte unter aseiner Ägide und auf Initiative der Society of Artists and Society of Dilettanti.
Die zahlreichen hier ausgestellten Gemälde belegen eine vielleicht nebensächliche, doch im Zusammenhang gerade heutzutage viel(zuviel)beachteten königlichen - und anderen - Promiprivatlebens bemerkenswerte Tatsache. Ganz wie "normale", bürgerliche Paare teilten sie ein harmonisches und glückliches Familienleben. 15 Kinder entsprangen ihrer Ehe, und eines der Gemälde von Hofmaler Johann Zoffany zeigt die junge Königin mit den kleinen Prinzen George und Frederick, verkleidet als antike Helden und mit einem Hund.
Die Ausstellung vermittelt somit einen Einblick in die Welt eines missverstandenen Monarchen. 60 Jahre sass der erste in England geborene und englischsprachige König aus der deutschstämmigen Dynastie und seine Gattin, Charlotte von Mecklenburg-Strelitz auf dem britischen Thron. Es war eine Periode gewaltiger politischer, kultureller, wissenschaftlicher und industrieller Umwälzungen, und im Jahr 1820, dem Jahr seines Todes, war Europa nicht mehr wiederzuerkennen. Im Kontrast dazu erscheint in der Ausstellung die Welt ein wenig ruhiger und harmonischer, ein Rückzug ins Privatleben vor jener allzu stürmischen Zeit.


Georg III and Queen Charlotte. Patronage, Collecting and Court Taste, Queen's Gallery Buckingham Palace, bis 9. Januar 2005, Eintritt £7.50. Katalog: Jane Roberts (ed.), Royal Collections Publications, 408 S., mit zahlreichen farbigen Illustrationen, £19.95.

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© Dirk Bennett 2003