Der arme Lord


Erz.:Als an jenem 7.Juni 1816 der Beschluß des Britischen Parlaments aktenkundig wird, ist Lord Elgin erleichtert und enttäuscht zugleich. Statt der von ihm veranschlagten Summe erhält er nur 36 000 englische Pfund, eine Summe, die nicht einmal die Hälfte der ihm entstandenen Unkosten deckt. Doch dem in argen Geldnöten steckenden Adeligen bleibt keine Wahl: er akzeptiert. Im Gegenzug gelangt das Königreich nun in den Besitz unschätzbarer Kunstwerke, die der Earl in jahrelanger und, so muß hinzugefügt werden, nicht immer unumstrittener Sammlertätigkeit erworben hat. Diese Kunstwerke zählen heute noch zu den Hauptattraktionen des an Schätzen wahrhaft nicht armen Britischen Museums. Sie haben Künstler inspiriert, Generationen von Wissenschaftlern zu gelehrten Deutungen veranlaßt und nicht zuletzt Tausende von Besuchern aus allen Teilen der Welt angelockt.
Es handelt sich - und diese Genugtuung mag dem Lord geblieben sein - um die sog. "Elgin-Marbles", d.h. die Statuen, Reliefs und Porträts, die in ihrer Mehrzahl von der Akropolis von Athen stammen.
Thomas Bruce 7.Earl of Elgin, 11.Earl of Kincardine, am 20.Juli 1766 geboren, war schottischer Adeliger. Das Stammhaus der Familie, Broomhall, liegt am Firth of Forth. Seine Erziehung verlief wie die vieler junger Adeliger seiner Zeit: Erziehung in Großbritannien und Frankreich, die Übernahme eines Leibregiments, in seinem Fall die "Elgin Highland Fencibles" und schließlich, im Alter von 24 Jahren, der Eintritt in das "House of Lords" und somit in die Politik.
Bald ergibt sich ein neues Betätigungsfeld: die Diplomatie. Zunächst wird er 1791 als Sonderbotschafter nach Wien an den Hof Kaiser Leopolds II. entsandt. Die österreichischen Versuche, Belgien von Frankreich zurückzuerobern, machen danach seine Anwesenheit - erneut als Sondergesandter - in Brüssel notwendig.
Vergessen wir nicht: Europa befand sich in jenen Jahren im Umbruch. Das Leben Elgins und seiner Zeitgenossen war bestimmt vom Zusammenbruch des Ancien Regime, der französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen, die nun bereits ihre Schatten vorauswarfen.
In Berlin, wo er drei Jahre verbrachte, wirkte er als bevollmächtigter britischer Gesandter und bekam tiefen Einblick in das politische Intrigenspiel jener Jahre. Seine Geradlinigkeit machte ihn nicht gerade zum idealen Kandidaten für einen derartigen Posten. Als er entdeckte, daß ohne sein Wissen Sonderverhandlungen zwischen Preußen und England stattfanden stand sein Entschluß zu demissionieren endgültig fest. Hinzu kamen ihn zeitlebens nicht verlassende gesundheitliche Probleme. So nahm er dankbar an, als ihm - auf seinen eigenen Vorschlag übrigens! - 1798 eine Stelle als Außerordentlicher Gesandter an den Hof Sultans Selim III. in Istanbul angeboten wurde.
Die Monate vor seiner Abreise verbringt Elgin in England. Er heiratet die junge, schöne Mary Nisbet, reiche Alleinerbin aus benachbarter Familie. Nicht nur aus Liebe, wie wir vermuten dürfen, denn Geld hatte er wahrhaft nötig: sein Besitz und seine Ämter warfen beileibe nicht genügend ab, um den Erfordernissen seines Standes und seiner Würden zu genügen. Da in jenen Zeiten hohe Beamte einen Großteil der Kosten für Amtsführung, Ausstattung und Bedienstete aus eigener Tasche finanzieren mussten, waren die diesbezüglichen Ausgaben beträchtlich.

So beträchtlich, daß manch ein Anwärter abgeschreckt wurde, Lord Nelson beispielsweise warnte seinen Bruder:
Zit.:"Das diplomatische Korps ist der sichere Weg in den Ruin. Ich habe niemals von irgendeinem gehört oder habe jemand gekannt, der sich hier ein Vermögen erworben hat, dabei ist es sehr leicht eines zu verlieren: selbst bei aller Vorsicht, die zu leisten möglich ist, kann selbst ein Minister nicht von seinem Gehalt leben. .."
Erz.:Für Lord Elgin steigern sich die Ausgaben noch, da er sich - beeinflußt durch seinen Architekten Harrison- ein ehrgeiziges Ziel gesetzt hatte: die Anfertigung von Abgüssen und Zeichnungen der Antiken Athens, zum Nutzen und Fortschritt der Künste in seinem Heimatland.
Für diesen Zweck war es nötig, einen ganzen Troß an Fachleuten anzustellen. Elgin plante in großem Maßstab, jedoch ohne großen finanziellen Rahmen. Die britische Regierung stellte lediglich die Mittel für einen Handschriftenexperten, Professor Carlyle aus Cambridge, bereit, in der Hoffnung, in den alten Bibliotheken des Ostens würden sich bisher unentdeckte antike Manuskripte finden lassen. Eine vergebliche Hoffnung, wie sich im Nachhinein herausstellte. In Bezug auf Antiken war sie der Meinung:
Zit.:"..., daß bereits Alles von Reisenden und den hervorragenden Publikationen ihrer Entdeckungen getan worden ist, was vernünftigerweise erwartet werden konnte..."
Erz.:Diese Abfuhr hielt Elgin nicht von seinem Vorhaben ab und er trat an eine Anzahl von Künstlern heran, unter ihnen auch John William Turner - die alle angesichts der mageren Bezahlung ablehnten!
So beschließt er, zunächst nur in Begleitung seiner Sekretäre Hamilton und Morier, seines Kaplans Hunt, Carlyles, des Doktors McLean, und seiner frischvermählten Frau aufzubrechen und dieses Problem im Verlaufe der Reise zu lösen..
Anfang September sticht die Phaeton von Portsmouth aus in See. Für die junge Lady Elgin wird die Reise zur Tortur - von Beginn an leidet sie unter Seekrankheit. Sehr zu ihrer Erleichterung werden häufige Stops eingelegt. Die Aufenthalte in Lissabon, Gibraltar und Palermo sind von großen Empfängen in den Botschaften begleitet. In Sizilien machen die Reisenden die Bekanntschaft einer Berühmtheit jener Zeit: Lord Nelson. Der Admiral und Sieger unzähliger Schlachten lebt hier mit Lady Hamilton und ihrem Mann, dem britischen Botschafter.
Letzterer genoß damals einen weitreichenden Ruf als Antiquar und Sammler, vor allem unteritalischer Vasen. Die Stücke dieser Sammlung übrigens dienten Josiah Wedgwood als Vorbild für seine eigene Manufaktur.
Mit Sir William erörtert Elgin seine Pläne und schildert seine Probleme bei der Beschaffung geeigneter Fachleute. Auf dessen Vorschlag engagiert er schließlich Giovanni Battista Lusieri, einen damals bekannten Lanfschaftsmaler aus Taormina, als Leiter des Projektes. Dieser bricht wenig später mit seinem Sekretär nach Neapel und Rom auf, um nach weiteren Spezialisten Ausschau zu halten.
Während der Lord mit Hamilton seine Pläne erörtert und mit Nelson über die politische und militärische Lage diskutiert, genießt Lady Mary - schnell wiedergenesen - die 2-wöchige Unterbrechung der Reise mit Konzerten, Ausritten und Parties. Anläßlich des Geburtstages des Thronfolgers findet ein großer Empfang statt:
Zit.:"...Es war draußen im Garten und alles vollständig chinesisch, eine unzählige Anzahl von runden Tischen sehr gut bedient, und eine Vielzahl von Bediensteten alle kostümiert als Chinesen; sie sagen die Party koste 6000 Pfund; der ganze Garten war beleuchtet mit bunten Lampen, eine der Alleen bestimmt eine Meile lang und voller Lampen, es übertraf tatsächlich Tausendundeine Nacht."
Erz.:Jedoch, viel zu schnell für Lady Elgin verfliegt die Zeit und bald befindet man sich wieder auf See - und Lady Mary leidet. Im Oktober 1799 erreicht man Constantinopel.
Wenn der Lord einen ruhigen und erholsamen Aufenthalt in Konstantinopel erwartet hatte, so sah er sich schnell eines Besseren belehrt. In vielerlei Hinsicht war die Situation eher verwirrender als in Wien, Brüssel oder Berlin in den Jahren zuvor. Ausgangspunkt der Verwicklungen war Ägypten. Hier war Napoleon im Jahre 1798 über den langjährigen Verbündeten Frankreichs, die Türkei, hergefallen! Das faktisch autonome Ägypten wurde zwar von den Mamelucken - einer Kriegerkaste - regiert, Konstantinopel war jedoch nicht gewillt, diesen allen Abkommen zuwiderlaufenden Angriff zu dulden. Der bereits "kranke Mann am Bosporus" verfügte jedoch längst nicht mehr über die Machtmittel, diesen politischen Anspruch durchzusetzen. Was lag nun näher, als sich unter den europäischen Großmächten, die sich von ähnlichen Ambitionen Frankreichs bedroht fühlen mussten, nach Verbündeten umzusehen? Hier nun beginnt der Einsatz Lord Elgins.
England hatte seit Jahren keinen offiziellen Vertreter mehr an die Hohe Pforte entsandt, seine Interessen wurde von einem Vertreter der levantinischen Handelsgesellschaft wahrgenommen. Diese Handelsgesellschaft war mächtig, sie kontrollierte nicht nur den Handel in den Nahen Osten, sie hatte sich darüber hinaus noch einigen politischen Einfluß verschafft. Ein Mitglied dieser Gesellschaft und ehemaliger Botschaftssekretär, John Spencer Smith, versah seit 1795 die Geschäfte eines inoffiziellen Vertreters Großbritanniens. Gemeinsam mit seinem Bruder, einem Abenteurer noch so recht im Stil des untergegangenen Rokoko, machte er dem Neuankömmling das Leben mehr als schwer.
Es ist leicht zu verstehen, daß Probleme vorprogrammiert waren, umso mehr noch, als London versäumt hatte, klare Abgrenzungen von Kompetenzen und Zuständigkeiten vorzunehmen. Kaum lassen sich alle Hindernisse aufzählen, die Lord Elgin in den Weg gelegt werden: gezielte Indiskretionen, Sonderverhandlungen, Verleumdungen etc..
Es nimmt Wunder, daß sich all die Eifersüchteleien, offenen Reibereien und widersprüchlichen Aktionen nicht verheerend auf die politische Situation auswirkten. Die Position Londons gegenüber der Hohen Pforte ist in jenen Tagen jedoch derart vorteilhaft, daß sämtliche Probleme erfolgreich überspielt werden können. Die Lage entspannt sich, als es Elgin durch mehrfache Interventionen und Beschwerden gelingt die unbequemen Brüder ablösen zu lassen. Inzwischen haben die neuen Verbündeten im Verlaufe des Jahres 1801 auch die außenpolitischen Gegner besiegen können. Im September finden in Konstantinopel rauschende Siegesfeiern statt.
Zit.:"Es war die schönste Nacht, die Du dir vorstellen kannst, beide Seiten des Bosporus beleuchtet, Raketen, Gewehre, Kanonen gehen an allen Ecken los, jegliche Art von Musik und eine Art Karneval, und all die Türken so fröhlich wie die Christen...Ich glaube sie hätten Ägypten wieder und wieder erobern können, hätten sie nur die Hälfte der Kanonen ernsthaft abgefeuert, die sie nun aus Spaß abfeuern."
Erz.:Noch hatte Elgin kaum Zeit gefunden sich seinem Projekt ernsthaft und mit Nachdruck zu widmen. Bereits im Mai waren Hamilton und Lusieri mit ihrer Mannschaft - einer wahrlich bunten Truppe - in Konstantinopel eingetroffen:
Zit.:"Mr. Hamilton und sein sein langerwarteter 'Carro of Virtuosi' sind gestern eingetroffen. Man denke nur, er hat tatsächlich 6 Musiker, 6 Maler und 2 Modelleure mitgebracht. Ich werde nichts weiter über sie sagen, aber das muß ich sagen, daß ich denke, wenn mein Vater die Musik hört, wird er begeistert sein.; ich habe noch nie so etwas gleichwertiges wie die erste Geige gehört. Er hatte das Orchester in der Oper in Italien, und was die Maler betrifft - o Mutter!"
Erz.:Für den Lord sind freilich seine Spezialisten wichtiger, wenn sie ihm auch teurer kommen, als er erwartet hat. Schillerndste Gestalt ist zweifellos Theodor Iwanovitch, ein verwegen aussehender Mann, den ein wildbewegtes Leben aus den Tiefen Rußlands nach St.Petersburg, von hier nach Baden und schließlich, da sein Talent als Künstler entdeckt wurde, nach Rom verschlagen hat. Die Zeichnungen von "Lord Elgin's Kalmück", wie er bald genannt wird, sind allerdings durch ihre häufig etwas phantasievollen Rekonstruktionen für archäologische Zwecke wenig hilfreich.
Schnell werden die Leute wieder auf den Weg gebracht und erreichen im August 1801 Athen.
Hier, auf der kleinen Bühne der türkischen Provinzstadt finden die Ereignisse auf der Weltbühne ihr verkleinertes und nicht zu selten komisch wirkendes Spiegelbild. Die Franzosen und Engländer liefern sich einen heißen Kampf um die begehrten und prestigeträchtigen Antiken. Bis 1798 hatten die Franzosen mit dem Comte de Choiseul-Gouffier, bzw. seinem Beauftragter Fauvel, den Antikmarkt fest in der Hand:
Zit.:"Nehmen Sie alles an sich, was sie können. Versäumen Sie keine Gelegenheit, in Athen und seiner Umgebung alles, was sich fortnehmen läßt, fortzunehmen. Lassen Sie sich weder von Lebenden noch von Toten abhalten!"
Erz.:Solch drastische Worte mögen heute erstaunen und Wasser auf die Mühlen derer sein, die vehement die Rückgabe derart "erworbener" Antiken fordern. Doch die Forderung des Comte entsprang einer traurigen Tatsache: die wunderbaren, uralten Kunstwerke verkamen! Wo sie nicht, wie eine Frauenstatue in Eleusis, in Dunghäufen begraben wurden, dienten sie als Steinbrüche, als Munitionslager oder bestenfalls als geschäftliche Objekte, die skrupellos - oder soll man sagen geschäftstüchtig? - genutzt wurden. Was nicht zu selten bedeutete, daß Teile herausgebrochen oder abgeschlagen wurden. Geachtet oder gepflegt wurde das antike Erbe jedenfalls nicht. Athen war nur ein Beispiel in langen Reihe - und bis dato nicht einmal das prominenteste - das einer Kombination aus Interesselosigkeit, Zerstörungswut und Sammlersucht zum Opfer fiel.
Mit der Niederlage Frankreichs in Ägypten verliert auch Choiseul-Gouffier seine zuvor so privilegierte Stellung. Ihm wird die Genehmigung entzogen, Antiken zeichnen zu lassen oder gar zu erwerben.
Die Verhandlungen Lusieris - des Vertreters Elgins - mit den örtlichen Behörden um den Zugang zur Akropolis verlaufen jedoch zäh und selbst das probate Mittel der Bestechung ermöglicht nur sporadische und immens teure Besuche. Es ist unausweichlich: ein Firman, ein offizielles Schreiben der türkischen Zentralregierung, muß beschafft werden!
Im Sommer 1801, die Niederlage der Franzosen zeichnet sich ab, gelingt Elgin dieses Vorhaben. Der Sultan, erfreut über die Hilfe der Engländer verteilt, umfangreiche Geschenke, gewährt Privilegien und erlässt das entscheidende Schreiben an die örtlichen Beamten:
Zit.:"Es sei Euch hiermit bekundet, daß unser werter Freund, seine Excellenz Lord Elgin, Außerordentlicher Gesandter des Hofs von England an der Hohen Pforte, vorstellig geworden ist, daß es wohlbekannt ist, daß ein bedeutender Teil des Französischen Hofes darauf bedacht sind, Bücher, Bilder und andere Werke der Wissenschaft der antiken griechischen Philosophen zu lesen und zu erforschen: und daß im Besonderen die Minister, Philosophen, Größen und andere Persönlichkeiten in England seit jeher Gefallen finden an den erwähnten Griechen und daß diese an den Küsten der griechischen Inselwelt zu sehen sind und in anderen Regionen; und daß sie daher von Zeit zu Zeit Männer ausgesandt haben die alten Bauwerke und Bilder zu besichtigen und zu untersuchen. Und daß einige der Liebhaber des Hofes von England die alten Bauwerke und besonderen Bildwerke Athens zu sehen wünschen, und die alten Mauern aus den Zeiten der Griechen, die sich jetzt im inneren Teil des besagten Platzes befinden; er hat daher 5 englische Zeichner eingestellt, die nun in Athen leben, um die dort vorhandenen Bilder 'ab antiquo' zu untersuchen, zu besichtigen und auch zu kopieren: und er hat auch zu jener Zeit bei uns angefragt, daß es geschrieben und befohlen werde und daß so lange diesen Zeichnern gestattet werde, auf der Burg der besagten Stadt ein und ausgehen zu können, welcher der Platz der Untersuchung ist und Gerüste aufführen zu können um den alten Tempel der Götzen dort; und die besagten Ornamente und die sichtbaren Figuren in Gips abformen zu können; und die dort verbliebenen Gebäude zu vermessen; und auszugraben die Fundamente, wenn sie es für notwendig erachten, um Inschriften auszugraben, die dort im Schutt begraben sein mögen; daß ihnen kein Einspruch, und keine Hindernisse in den Weg gelegt werden vom Disdar oder jeglicher anderen Person; daß sich niemand einmische bei den Gerüsten oder den Vorrichtungen, die sie für ihre Arbeiten benötigen; und daß sie, wenn sie irgendwelche Steine mit alten Inschriften oder Skulpturen wegnehmen wollen, sie hierbei nicht behindert werden...gez.Seged Abdullah Kaimmacam"
Erz.:Der Weg auf die Akropolis ist somit frei! Man hat vor dem Hintergrund der folgenden Ereignisse oft über den Umfang der Genehmigung gerätselt, und die tatsächlichen Absichten Elgins. Aus seinen Äußerungen geht jedoch zunächst in keinster Weise hervor, daß er das Schreiben dahingehend auslegte, daß ihm das uneingeschränkte Schaklten und Walten an den Bauwerken gestattet worden sei.
Zit.:"Neben den allgemeinen Arbeiten .... wäre es sehr wichtig, daß die Formatori exakte Abgüsse der Ornamente oder der umherliegenden Stücke nehmen könnten, wenn es denn möglich ist irgendwelche zu finden, was für die Künste sehr interessant wäre...Daneben haben Sie jetzt die Erlaubnis zu graben, und hier ist ein weites Feld für Medaillen, und für die Reste von Skulptur und Architektur."
Erz.:Die Akropolis hatte eine wechselvolle Geschichte hinter sich und war in den Jahrhunderten zuvor vorwiegend als Festung genutzt worden. Nahezu nichts erinnerte mehr an die alte Pracht. Beschießungen und Explosionen hatten die alten Gebäude zerstört. Moderne Bauten erhoben sich auf und zwischen den Überresten von Parthenon, Erechteion, Propyläen und Niketempel; Weihgeschenke, Plastiken, der architektonische Schmuck war stellenweise unter einer dicken Schuttschicht verborgen oder zweckentfremdet in den Mauern der Wohnhäuser verwendet worden.
Nun glich der Burgberg binnen kurzem einer Baustelle. Ausgrabungen wurden vorgenommen, Gerüste errichtet und die Tore und Tempel von späteren Überbauungen befreit. Elgins Vertreter legten jedoch den Firman sehr weit aus. Durch Drohungen und Bestechung erreichten sie beim örtlichen Oberbeamten, dem Voivoden, ein weitgehendes Zugeständnis: am 31.Juli wird der erste Bestandteil des Figurenschmucks des Parthenon, eine Reliefplatte, entfernt!
Man meldet triumphierend nach Konstantinopel:
Zit.:"Diese bewundernswerten Beispiele griechischer Skulptur, die wiederholt dem Gold und dem Einfluß Frankreichs auf dem Gipfel seiner Macht widerstanden haben, haben nun wir an uns gebracht zusammen mit weiteren wertvollen Fragmenten von Antiken...."
Erz.:Elgin antwortet n icht minder begeistert:
Zit.:"Das Objekt, das ich im Blick hatte, scheint nun einen Erfolg jenseits unserer kühnsten Erwartungen zu versprechen. Ich wage mir nun zu schmeicheln, daß mein Vorhaben, die Namen meiner Künstler zu erheben, in einer Weise erreicht wird, die niemand erreicht hat, seit der Zeit der Originale, deren Vollkommenheit Sie nun wiederbeleben."
Erz.:Ein Damm scheint gebrochen. Waren im 18.Jahrhundert bereits Teile des klassischen Erbes auf Nimmerwiedersehen verschwunden, so gleicht die Aktivität Hunts und Lusieris nun einer systematischen Plünderung: Stück für Stück wandern die Metopen, die Friesplatten und die Giebelfiguren in Lagerhäuser am Hafen, wo sie für den Versand nach England vorbereitet werden. Stiche, die den Zustand des Tempels im Abstand weniger Jahre dokumentieren, demonstrieren den Effekt der rasch fortschreitenden Arbeiten gleichsam im Zeitraffer. Daß man dabei nicht zimperlich vorging belegen auch zeitgenössische Reiseberichte:
Zit.:"Während meiner 1.Reise in Griechenland, musste ich zu meinem unaussprechliche Entsetzen anwesend sein, als der Parthenon seiner schönsten Skulpturen beraubt wurde, und Teile seiner Architektur zu Boden geworfen wurden. Ich sah wie einige Metopen an der Südostecke des Tempels herabgenommen wurden. Sie waren zwischen den Triglyphen befestigt wie in einer Fuge und um sie hochzuheben, war es notwendig das herrliche Gebälk, das sie bedeckte, zu Boden zu werfen. Der Südostflügel des Gebälks teilte dasselbe Schicksal; und anstatt der pittoresken Schönheit und dem gutem Zustand in dem ich ihn zuerst sah, ist er nun zu einem zerschmetterten und zerstörten Zustand verkommen."
Erz.:Dabei sollte aber nicht verschwiegen werden, daß manch einer derjenigen, die sich so ablehnend äußerten, ihrerseits recht schnell sämtliche Skrupel über Bord warfen, wenn es um den Erwerb antiker Kunstgegenstände ging.
In den Augen Elgins war Eile geboten. Nicht nur begannen die Franzosen in Konstantinopel wieder spürbar an Boden zu gewinnen, auch seine gesundheitlichen Probleme machten einen längeren Aufenthalt immer unwahrscheinlicher. Seine rheumatischen Beschwerden hatten sich wider Erwarten im südlichen Klima nicht verbessert, die Verwicklungen in Konstantinopel hatten ihn nervlich angegriffen, außerdem litt er an einer extrem unangenehmen Hautkrankheit, die ihn einen Teil seiner Nase kostete und ihn für immer entstellte.
1802 brach er zu einer abschließenden Rundreise auf, die ihn endlich selbst nach Athen führte. Dort besichtigte er den Fortschritt der Arbeiten, organisierte den Abtransport per Schiff und kehrte schließlich nach einer aufreibenden Reise, die ihn mit Piratenüberfällen, Pest und Erdbeben konfrontierte, wieder nach Konstantinopel zurück.
Als der Botschafter im darauffolgenden Frühling seine Heimreise antritt, kann er auf erfolgreiche Jahre in Konstantinopel zurückblicken - es sollte die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen sein.
Am 23.Mai 1803, 5 Tage nach dem Wiederbeginn des Krieges zwischen Frankreich und England ergeht folgender Erlaß des Ersten Konsuls:
Zit.:"Alle Engländer im Alter zwischen 18 und 60, die der Wehrpflicht unterliegen, und im Dienste seiner britannischen Majestät stehen, und sich gegenwärtig in Frankreich befinden, sollen zu Kriegsgefangenen gemacht werden, als Antwort für die Bürger der Republik, die von den Schiffen oder Untertanen seiner Britannischen Majestät vor der Kriegserklärung festgenommen worden sind. Die Minister, je nach Zuständigkeit, werden mit der Durchführung dieses Erlasses beauftragt."
Erz.:Lord und Lady Elgin und ihre 3 Kinder befinden sich zu diesem Zeitpunkt auf der Durchreise durch Frankreich, in Paris. Unverzüglich werden sie aufgrund dieses allen bisherigen Gepflogenheiten hohnsprechenden Befehls verhaftet. Zwar wird ihnen gestattet sich in Frankreich unter Aufsicht zu bewegen und auch ihre 3 Kinder nach England zu schicken, den Eltern selbst wird jedoch die Ausreise verwehrt. 1805 stirbt ihr 4. in Gefangenschaft geborenes Kind. Lady Elgin, erneut schwanger und dem Zusammenbruch nahe, darf endlich ausreisen - gemeinsam mit dem Sekretär Hunt und einem alten Freund der Familie, Ferguson.
Weitere Monate vergehen, bis endlich auch Lord Elgin auf Ehrenwort freigelassen wird, d.h. unter der Bedingung, daß er auf Wunsch oder Befehl der französischen Regierung jederzeit zurückzukehren habe.
Die Heimkehr ist alles andere als glücklich. In England erwartet ihn seine Frau mit der Scheidungsklage, deren Verlauf und unschöne Einzelheiten uns hier nicht zu beschäftigen haben - 1808 wird die Trennung rechtskräftig. Darüber hinaus scheitern sämtliche Versuche Elgins, in den Staatsdienst, sei es als Politiker, Diplomat oder Soldat, zurückzukehren. Noch galt er ja als Kriegsgefangener, der nach damaligem Ehrenkodex selbstverständlich auf Forderung Frankreichs in die Haft zurückkehren würde! Eine Überprüfung seiner finanziellen Verhältnisse ergibt überdem, daß er zutiefst verschuldet ist.
Zit.:"All das Geld, das ich für Staatszwecke aufgenommen habe, der gesamte Erlös von meinen Besitzungen, und jegliches mir zur Verfügung stehende private Mittel ist aufgesaugt worden; und es erwartet mich noch eine Schuld von 27000 Pfund, die sich während meines Lebens in der Fremde angesammelt hat!"
Erz.:Dennoch beschafft er die Mittel, die nötig sind, um seine Sammlung, die immer noch in Athen lagert, nach England verschiffen zu lassen. Inzwischen hat sich die politische Situation im Osten wieder gewandelt: die Türkei und Frankreich sind nun Verbündete gegen England. Als Folge übernehmen die Franzosen erneut das Regiment über den umkämpften Antikenmarkt in Athen. Elgins Vertreter Lusieri gelingt noch unter Mühen der Versand des ersten Teils der wertvollen Stücke, bevor er die Stadt fluchtartig verläßt und erst 1808 zurückkehrt.
Auf der Suche nach einer permanenten und adäquaten Lagerung wandern in den folgenden Jahren 50 Kisten, 120t Marmor durch London: vom Haus der Herzogin von Portland in Westminster zum Herzog von Richmond, von hier in eine Scheune an der Ecke von Picadilly und Park Lane und endlich nach Burlington House, wo sie, ausgesetzt der Witterung und ohne erkennbare Ordnung, abgestellt werden.
Es ist offensichtlich: das hochgesteckte Ziel Lord Elgins, die Sammlung zur Förderung der Künste in England zugänglich zu machen, droht an seiner desperaten finanziellen Situation zu scheitern. Dabei sind die ersten Reaktionen aus Künstlerkreisen zustimmend, ja überschwenglich:
Zit.:"Ich habe in dieser Skulpturensammlung eine solch herausragende Kunst gefunden..., und eine Vielfalt, die so grenzenlos und überragend ist, daß jeder Zweig der Wissenschaft, der mit der Kunst verbunden ist, unweigerlich etwas von dieser Sammlung gewinnen wird. Eure Lordschaft haben, indem Sie diese Schätze des führenden Zeitalters der Kunst und der Architektur nach London gebracht haben, ein neues Athen für den Eifer und das Beispiel des Britischen Studierenden gegründet."
Erz.:Kopien und Zeichnungen werden angefertigt, die Creme de la Creme der zeitgenössischen Kunst pilgert in die Scheune, wo die Stücke ausgestellt sind: Canova, Flaxman, Turner u.v.am.
Es mag erstaunen, daß die nun folgenden Versuche, die Sammlung an den Staat zu verkaufen dennoch scheitern. Der Grund hierfür liegt in einer mit Heftigkeit geführten öffentlichen Diskussion.
Zwei Parteien von großem Einfluß sprechen sich gegen Elgin aus: auf der einen Seite die sogenannten Spezialisten, die unter der Führung des Vorsitzenden der Society of Dilettanti, Richard Payne Knight, die Authenzität der Stücke überhaupt bezweifeln. Auf der anderen Seite, nicht minder wortgewaltig, die Kritiker des Lords und der Art und Weise, wie die Sammlung zustandekam. Von Plünderung und Vergewaltigung ist die Rede, und der unumstrittene Wortführer ist Lord Byron. Vor allem mit seinem epischen Gedicht "Childe Harold's Pilgrimage" greift er Elgin unverblümt und unbarmherzig an.
Der Schaden für Elgin ist unermesslich: nicht nur, daß er tiefer und tiefer in finanzielle Probleme gerät, er muß zulassen, daß sich über ihn eine Lawine von beleidigenden Pamphleten, Zeitungsartikeln und Gedichten - nicht alle so gelungen wie die Werke Byrons! - ergießt. Die Lösung seiner Probleme scheint in weiter Ferne, und die wertvollen Skulpturen verrotten inzwischen in einem Garten!
Ganz allmählich jedoch beginnt sich die Situation zu seinen Gunsten zu wenden. Die Fachleute müssen ihr Vorurteil revidieren und auch die emotionalen Angriffe der Partei Byrons beginnen Ermüdungserscheinungen zu zeigen.
Das Interesse der britischen Regierung an der Sammlung wächst umso mehr, als London, was den Besitz prestigeträchtiger Antiken anbelangt, im Vergleich zu anderen europäischen Großmächten schlecht abschneidet. Man hat en Fries des Tempels von Bassae erwerben können, die Versuche, in den Besitz der erst kürzlich (von einem Engländer: Cockerell!) entdeckten Skulpturen vom Tempel der Aphaia zu gelangen, scheitern jedoch an der Hartnäckigkeit des Bayrischen Prinzen Ludwig. Letzterer hat darüber hinaus sein Interesse an den Parthenonskulpturen bekundigt, und bereits eine höhere Summe in London deponiert.
So stehen die Dinge günstig, als die Verhandlungen 1816 erneut beginnen und rasch zum Abschluß gebracht werden. Elgin hatte sich rund 70000 Pfund erhofft, um all seine Aufwendungen für Kauf, Transport, Lagerung, sowie Zinsen für die aufgenommenen Darlehen erstattet zu bekommen, die bewilligte Summe genügt jedoch nicht einmal, um die Schulden zu bezahlen, geschweige denn ein angemessenes Leben zu führen. Die Schuldenlast ist immer noch so drückend, daß er sich gezwungen sieht, nach Frankreich zu flüchten. Es blieb ihm immerhin die Genugtuung, daß der Wert seiner Sammlung endgültig und allgemein anerkannt wird. Die Society of Dilettanti, die grosse Feindin aus alten Tagen, bot ihm 1831 gar die Mitgliedschaft an. In seiner Ablehnung legt er noch einmal abschließend die Motivation für seine Tätigkeit in Athen dar:
Zit.:"Niemand weiß besser als Sie, daß der Antrieb, der mich zu meinen Unternehmungen in Athen geführt hat, gänzlich zu dem Zwecke war, für Britannien und somit für Europa im Allgemeinen das am meisten nutzbringende Wissen zu sichern, und es durch den Vorrang der griechischen Skulptur und Architektur zu verbessern. Mein Erfolg, in dem unermesslichen Ausmaß, in dem er erreicht wurde, wird nie aufhören für mich ein Grund der allerhöchsten Dankbarkeit zu sein. Wenn vor 20 Jahren, oder irgendeinem anderen betreffenden Zeitpunkt der öffentlich Bekanntgabe, diesselbe Anstrengung von der Society of Dilettanti angebracht erschienen wäre, wäre ich höchst glücklich gewesen, all meine zur Verfügung stehende Hilfe beizusteuern. Da aber solche Erwartungen längst Geschichte sind, bin ich wirklich nicht besorgt, daß ich für nachtragend gehalten werde, wenn ich die nun angebotene Ehre ablehne, in dieser 11.Stunde meines Lebens."
Erz.:Am 4.November 1841 ist Lord Elgin in Paris gestorben.
Am Ende bleibt noch eine Frage: sollen die Kunstwerke im Britischen Museum verbleiben, oder sollen sie, wie manche Stimme vehement fordert, zurückgegeben werden? Von Wiederherstellung des historischen Zusammenhangs ist da die Rede, von Wiedergutmachung eines geschehenen Unrechts. Doch sind wir ehrlich: durch die Initiative Lord Elgins wurde ein einmaliger Zusammenhang antiker Zeugnisse vor der Zerstörung aus Desinteresse und vor der Zerstreuung aus Geschäftssucht gerettet. Ein Fall aus dem Jahr 1902 zeigt das mögliche Schicksal solcher Stücke: in einem Garten in Essex wurde ein Fragment vom Parthenon gefunden! Niemand wusste, wie es dorthin geraten war!
Und an wen sollten die Antiken zurückgegeben werden? An das uninteressierte Griechenland des 18.Jh., das als Staat damals noch gar nicht existierte und das darüber hinaus heute mit dem antiken Griechenland so verbunden ist wie Deutschland mit dem Germanien der Römerzeit? Oder an die Türkei, den ehemaligen und ebenso desinteressierten Besitzer? Oder an Venedig, oder an die Nachfahren der Herzöge von Athen aus der Kreuzfahrerzeit - auch dies ehemalige Eigentümer? Oder vielleicht an die Bündner Athens im 5.vorchristlichen Jahrhundert, mit deren Beiträgen Perikles in zumindest fragwürdiger Weise seine Bauprojekte finanzierte?
Historische Begründungen sind Legion und daher gänzlich ungeeignet, dieses und ähnlich gelagerte Probleme zu lösen - denken wir doch nur an den Pergamonaltar, die Funde aus Babylon, Olympia oder gar den höchst aktuellen Fall des Schliemannschatzes!
Längst sind doch inzwischen die Elgin-Marbles zu einem Weltkulturerbe geworden und der Zugang ist allgemein möglich.
Am Ende hat der Lord sein Ziel doch noch erreicht.

Literatur
Brian F.Cook, The Elgin Marbles, British Museum Press 6. 1993.
William St.Clair, Lord Elgin and the Marbles, Oxford University Press 1967.
Arthur H.Smith, Lord Elgin and his Collection, Journal of Hellenic Studies 1916.

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© Dirk Bennett 2003