Comte Choiseul-Gouffier


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Zweifach unsterblich war der Comte Choiseul-Gouffier als er am 22.Juni 1817 im Alter von 64 Jahren in Aix-les-Bains verstarb. "Immortel", d.h. "unsterblich", ist der Ehrentitel der Mitglieder der Académie Française, jener altehrwürdigen Institution, 1635 von Richelieu zur Pflege der französischen Sprache und Kultur ins Leben gerufen. Choiseul-Gouffier wurde gleich zweimal berufen - eine Besonderheit, die er mit dem anderweitig weniger bekannten Publizisten, Politiker und Kirchenmann Jean Sifrein Maury teilt und die bedingt ist durch die turbulenten Verhältnisse im Frankreich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Das erste Mal wurde er 1783 auf den Fauteuil Numer 25 gewählt - den im Übrigen die erlauchten vier Buchstaben u.a. eines Alembert und Mérimée drückten -, nebenbei bemerkt nicht ganz unumstritten, da er seit 1779 bereits Mitglied der Académie des Inscriptions war, und ihm als solchem der Beitritt zu ihrer grossen Schwester eigentlich nicht gestattet war. Ein (hier ungenannt bleibender) Kollege, dessen Selbstlosigkeit nun keineswegs in Frage gestellt werden soll, reichte jedenfalls Beschwerde ein, die aber von höchster Stelle abgewiesen wurde. Ein zweites Mal erfolgte seine Berufung 1816, problemlos diesmal, 13 Jahre nachdem die während der Revolutionsjahre als Vorzeigestück des royalistischen Frankreichs geschlossene Organisation unter Napoleon und Kaiserreich feierlich wiedereröffnet worden war.
Die seltene Ehre - jeweils nur 40 Mitglieder zählt die Akademie und bis heute gibt es im Ganzen lediglich 700 Mitglieder - verdankte er nicht nur seinen Verdiensten um die französische Sprache und Kultur, sondern vor allem seinem Beitrag zur Archäologie und Erforschung Griechenlands und Kleinasiens, genauer gesagt der Veröffentlichung seiner "Voyages Pittoresques". Mit dem Erscheinen ihres ersten Bandes 1782 - der zweite wurde erst viel später und in zwei Etappen, von ihm selbst und der verbleibende Rest posthum von Barbié du Bocage, fertiggestellt und publiziert - wurde jener Reise- und Forschungsbericht ein durchschlagender Erfolg, nicht nur in "seriösen" Forscherkreisen - oder wer immer sich dafür hielt -, sondern auch und gerade in weiten Kreisen eines interessierten Publikums. Klassizismus und Philhellenismus fanden ja gerade in jenen Jahren ihren Höhepunkt und ihren mehr oder weniger geschmackvollen und gelungenen Ausdruck in allen Bereichen des täglichen Lebens.
Des Grafen Reisebeschreibung war vielerlei: archäologische Bestandsaufnahme, kombiniert mit Vergleichen und Beobachtungen des zeitgenössischen Griechenland und begründete nachgerade eine literarische Mode. Die deutsche Ausgabe besorgte der grosse Philologe Christian Gottlob Heyne und erschien 1792. Sie fand darüber hinaus ihren Eingang bis in die deutsche Literatur des Klassizismus und der frühen Romantik: Friedrich Hölderlins "Hyperion" - der am Beispiel des Titelhelden jene fashionable Antikeeuphorie ironisch gebrochen als rückwärtsgewandte Sehnsucht darstellt - zeigt sich massgeblich dem Reisebericht des Grafen verpflichtet. Zuletzt hat ja Peter Härtlings Romanbiografie die enge Verbindung des deutschen Sonderlings zum französischen Kulturkreis so treffend aufgezeigt.
Marie Gabriel Florent Auguste Choiseul-Gouffier war Ende März 1776 in Toulon in der Provence an Bord der Atalante gegangen, die unter dem Komando des Marquis de Chabert zur Kartografierung des östlichen Mittelmeeres auslief. Es war die Erfüllung eines Jugendtraums. Beeinflusst war der am 27. September 1752 geborene Sprösslings einer altehrwürdigen französischen Adelsfamilie von seinem Hauslehrer, dem Abbé Jean-Jacques Barthélemes, dem (Gross-) Vater der französischen Altertumskunde. Bereits lange hatte er von seiner solchen Reise geträumt und, wie er selbst im Vorwort bemerkte: " … im Voraus von dem Vergnügen gekostet, diese berühmte und schöne Region mit einem Homer und einem Herodot in der Hand zu bereisen …". Von Südfrankreich geht es nach Sardinien, Malta und Sizilien, bevor die Gesellschaft endlich in Griechenland anlangt, auf Zante, dem heutigen Zakynthos, der venzianischen "Blume des Ostens". Von dringt die Expediton entlang der westlich der Peloponnes gelegenen Inseln Modon und Koroni tiefer und tiefer in türkisches Gebiet. Durch die Inselwelt der Kykladen, der Dodekanes, der Sporaden, über Milos, Ios, Thera, Naxos, Delos, Paros, Lesbos, Samos und Rhodos - eine davon vielleicht das Vorbild des Niebelschütz'schen Myrrha - betritt man schliesslich kleinasiatisch-türkisches Festland, und folgt vom vom antiken Stratonicea nach Bodrum, Milet und Didyma, Ephesos und Smyrna. Bei Lemnos wiederentdeckt er gar die antike Insel Chryse, Exil des siechen homerischen Helden Philoktet.


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Nicht weniger als drei Jahre verbrachte der Graf auf Reisen, verzeichnete seine Beobachtungen und Erlebnisse in seinem Tagebuch, führte "Ausgrabungen" durch (wenig mehr als Sondierungen), und schickte regelmässige Berichte in die Heimat.
Nach seiner Rückkehr 1779 machte er sich umgehend an die Veröffentlichung, die 1782 erfolgte und im ersten Band zunächst bis zur Reiseetappe Smyrna gelangte. Der eintretende Erfolg war unerwartet und umgehend. Offizielle Ehrungen und Anerkennung folgten, die eine weitere Beschäftigung mit dem Buch schwerwiegend verzögerten. Die bedeutendste war seine Ernennung zum Botschafter Frankreichs in Konstantinopel, eine Stellung für die er auch aufgrund seiner Zugehörigkeit zum französischen Hochadel durchaus prädestiniert war. 1784 trat er sein Amt an. Die lange Anreise nutzte er erneut für archäologische Exkursionen nach Malta, Athen, Smyrna und in die Troas. Fünf Jahre waren es noch bis zur Französischen Revolution, die innenpolitisch gespannte Lage der 60er und 70er in Frankreich war relativer Stabilität gewichen und eine Umwälzung vom später eintreffenden Ausmass aus Sicht der Zeitgenossen - wie eigentlich stets in der Geschichte - kaum vorstellbar. Aussenpolitisch setzten sich die Querelen und Streiteren der üblichen Beteiligten im Jahrhundert der Kabinettskriege fort. Die junge Macht Preussen hatte sich fest etabliert, entriss einem ermüdenden Habsburg in Kartoffel- und Zwetschenkriegen weitere Gebiete, auf den Schlachtfeldern ferne Europa wurde eine neue Nation und Weltmacht geboren, der Mann am Bosporus kränkelte bereits heftig und wurde, unter Ausnutzung seiner Malaise, von Österreich und Russland unter seiner energischen deutschstämmigen Zarin Katharina II. bedrängt - die während der 60er und 70er Jahre sich verstärkt die eisfreien Häfen des Schwarzen und des Mittelmeeres einzuverleiben suchte. Wechselseitig unterstützt und behindert wurden die jeweiligen Initiativen vom Panoptikum der europäischen Gross-, Mittel- und Kleinmächte, deren jahrhundertealte Streitsucht unter stets wechselnden Konstellationen und Vorwänden nun in der Neuen und der Alten Welt ausgetragen wurde.
Man mag von einem erklärten Philhellenen, der in seiner Publikation mehrfach die jammervolle Lage der Griechen beklagt und dem Wunsch zur Befreiung vom "türkischen Joch" Ausdruck gegeben hatte, anderes erwartet haben, es fiel ihm jedoch erstaunlich leicht sich in Konstantinopel zu etablieren und die Interessen Frankreichs an der Hohen Pforte, und das mit ausnehmendem Erfolg zu vertreten. Zunächst unter Abdul Hamid I. (1725-1789), dessen Regierungszeit von einem weitgehenden Niedergang des einst mächtigen Reiches geprägt war, und anschliessend unter seienm Nachfolger, dem Reformer Selim III. (1789-1807), stellte sich der Graf ganz in den Dienst der an Ausgleich und Zusammenarbeit orientierten Aussenpolitik seines Landes. Das bedeutete in jenen ausgehenden Jahrzehnten des 18.Jahrhunderts die Unterstützung der Hohen Pforte gegen die erwähnten konzertierten Expansionsbestrebungen Österreichs und Russlands. Mit dem Grosswesir Halil Pascha und dem Dragoman Mauro Cordato arrangierte er den Austausch von Wissenschaftlern und Militärs, von Ingenieuren und Lehrern, in Unterstützung der osmanischen Reform und Modernsierungsanstrengungen. Nennenswert ist hier vor allem die sich über Jahrzehnte hinziehende Zerschlagung der übermächtig gewordenen Janitscharen und Mamelucken und die Reorganisation der Armee, die Nizam-i Cedit (Neue Organisation), nach französischem Muster. Sein diplomatisches Geschick stellte der Graf während der 1787 erneut ausbrechenden Feindseligkeiten vonseiten Russlands und Östereichs unter Beweis: Nicht nur verhalf er dem gefangengesezten russischen Botschafter aufgrund seines Einflusses bei der Hohen Pforte zur Freiheit, sondern er war auch an den Vermittlungs- und anschliessenden Friedensverhandlungen massgeblich beteiligt.
Von Konstantinopel aus findet er jedoch genügend Zeit und Musse, seine vor Jahren begonnenen Forschungen fortzusetzen - man darf vermuten, eine willkomene Abwechslung zu höfisch-nahöstlicher Kabale - und er schart zu diesem Zweck einen Kreis von Gelehrten, Künstlern und Ingenieuren um sich: den Maler und Zeichner Louis François Cassas, den Hellenisten Jean Baptiste Gaspard d'Ansse de Villoison, den Philologen und Mathematiker Jean Baptiste Lechevalier, den Ingenieur Jean Jacques Dubois, den Philologen Pierre François Vignier und den als Privatsekretär fungierenden Ingenieur und Kartographen Franz Kauffer. Ergebnis war u.a. eine der ersten westlichen Grammatikwerke zur türkischen Sprache und umfangreiche Abhandlungen zu orientalischer Kultur - die ihreseits von nicht geringem Einfluss auf europäischen Zeitgeschmack und Mode blieben -, und die Vermessung des Bosporus und Konstantinopels.
Vor allem beschäftigen ihn jedoch seine archäologischen Erkundungen in Griechenland und Kleinasien. So führt er Ausgrabungen in Olympia durch - die er allerdings, will man späteren Biografen Glauben schenken, auf Drängen des örtlichen Agas einstellt, als dieser nämlich die Befürchtung äussert, die als Schätzgräberei verdächtige Aktivität möchte ihn bei Hofe der illegalen Bereicherung verdächtig machen. Vor allem widmet er sich aber der Erforschung der Troas und der Wiederentdeckung jener mythischen und mystischen Landschaft, Schauplatz des sich fast zwei Jahrtausende zuvor abgespielten legendären Trojanische Krieges. In mehrfachen Expeditionen zwischen 1786 und 1789, mit dem erwähnten Herodot und Homer in der Hand, und auf den Spuren früherer Forscher wie Spohn, des Marquis de Nointer und wenige Jahrzehnte zuvor der von der Society of Dilettanti gesponsorten Expedition Robert Woods (des Entdeckers der Ruinen des antiken Palmyra), wird die kartographische Erfassung der "Troade" die Meisterleistung Choiseul-Gouffiers. Waren die bisherigen Detailkarten einer mehr oder minder freizügigen Interpretation der antiken Texte verpflichtet gewesen, so entstand hier erstmals ein auf langwierigen Vermessungen und Beobachtungen vor Ort basierendes Werk. Philologische Textkritik paarte sich mit konkreter Feldforschung, bestätigte die grundsätzliche Historizität der Ereignisse und spielte eine Schlüsselrolle in der Wiederentdeckung Trojas. Wenig machte es daher aus wenn er das antike Troja nicht gänzlich genau identifizierte - im modernen Dorf Pinarbasi, während er die nahegelegenen Ruinenhügel bei Hissarlik irrigerweise als die hellenistische Siedlung interpretierte, eine Zuweisung die in der Folge für Jahrzehnte richtungsweisend blieb. Die Ergebnisse seiner Arbeiten verbreiteten sich in Windeseile in Forscherkreisen. Daneben begannen ab 1792, leider kurz darauf unterbrochen durch seine erzwungene Emigration, Ausgrabungen in Alexandreia Troas, jener ausgedehnten und bis heute viel zu wenig erforschten Stadtanlage, nicht allzu weit vom heutigen Bergama an der türkischen Westküste gelegen. Seinen Agent Fauvel in Athen beauftragte er mit der Anfertigung zahlreicher Abgüsse von antiken Monumenten, darunter 25 Abgüsse des Parthenonfrieses und der Metopen, vom Lysikratesmonument und vom Theseion - die ersten und einzigen in situ angefertigten Kopien. Gerüchten zufolge soll sich übrigens Lord Elgin etliche Jahre später der noch stehenden Gerüste, die zu diesem Zwecke errichtet worden waren, bedient haben. Sie befanden sich bis vor wenigen Jahren im inzwischen aufgelösten "Musée des Moulages" in Versailles. Die noch auf dem Internet befindliche Webseite ist veraltet, aber mit ein wenig Hartnäckigkeitkeit und den rechten Kontakten kann, allen Widerständen einer französischen Bürokratie zum Trotz (man fühlt sich gelegentlich wie der Buchbinder Wanninger), eine Besichtigung arrangiert werden.
Und dann ist da natürlich die Sammlertätigkeit des Grafen, auf den griechischen Inseln, in Kleinasien und in Athen. In Athen, auf der Bühne der verlorenen türkischen Provinzstadt finden die Ereignisse auf der Weltbühne ihr verkleinertes und nicht zu selten komisch wirkendes Spiegelbild. Franzosen und Engländer liefern sich einen heißen Kampf um die begehrten und prestigeträchtigen Antiken. An Fauvel schreibt er: "Nehmen Sie alles an sich, was sie können. Versäumen Sie keine Gelegenheit, in Athen und seiner Umgebung alles, was sich fortnehmen läßt, fortzunehmen. Lassen Sie sich weder von Lebenden noch von Toten abhalten!" Verzeichnisse dessen was er sich denn nach Frankreich zur Ausschmückung hat schicken lassen sind erhalten. So gehen 1787 an seinen Agenten Etienne Martin in Toulon 28 Kisten "blocs de marbre", 12 Kisten "bas-reliefs" und der Kopf einer Statue von Athen. Weitere Briefe seiner Agenten bestätigen weitere umfangreiche Sendungen auf den regelmässig verkehrenden Postschiffen aus Athen - meist unter den Kapitänen Allard und Roussel Darunter befinden sich 1784 auch jene zwei Fragmente vom Parthenonfries, die sich heute nicht im Britischen Museum sondern im Louvre befinden - es handelte sich übrigens, wie Fauvel mehrfach betont hat, nicht um gewaltsam entfernte sondern herabgefallenene Fragmente. Über Toulon gelangt die Fracht nach Marseille, wo sie in Warenhäusern in der Rue Fortia und der Rue de Picpus gelagert wird und seiner späteren Rückkehr aus dem Ausland harren. Manches geht verloren: ein Teil seiner Sammlung fällt dem grossen Brand von Smyrna (heute Izmir) im Jahre 1797 zum Opfer, und eine Schiffsladung wird nach 1799 - als er sich schon längst im Exil in Russland befindet - von den Engländern beschlagnahmt. Lord Elgin, allen Appellen des Grafen zum Trotz, ihm als Gentleman und Kollege bei der Wiederbeschaffung behilflich zu sein, ersteigert die Objekte, u.a. drei Metopen vom Parthenon, für sich selbst, zu einem Spottpreis von 24 Pfund. Man vergisst es ihm nicht: die Fussnote zu Losnummer 105, der Parthenonmetope, im späteren Verkaufskatalog der gräflichen Sammlung übt ätzende Kritik an der Vorgehensweise des Engländers.
Die Vorgehensweise der europäischen Diplomaten, Reisenden und Samler mag heute erstaunen und Wasser auf die Mühlen derer sein, die vehement die Rückgabe auf solcher Weise "erworbener" Antiken fordern. Doch die Aktivitäten Choiseul-Gouffiers, Elgins und vieler anderer entsprang einer traurigen Tatsache: die wunderbaren, uralten Kunstwerke wurden nicht geschätzt. Wo sie nicht, wie eine Frauenstatue in Eleusis, in Dunghäufen begraben wurden, fielen sie entweder mutwilligem Vandalismus zum Opfer oder dienten sie als Steinbrüche, als Munitionslager. Bestenfalls fanden sie Verwendung als geschäftliche Objekte, die skrupellos - oder soll man sagen geschäftstüchtig? - umgeschlagen wurden. Was nicht zu selten bedeutete, daß den Objekten erneut nicht wiedergutzumachender Schaden zugefügt wurde, Stücke herausgebrochen, abgeschlagen oder ergänzt wurden. Das Bewusstsein eines eigenen, erhaltenswerten historischen Erbes war bestenfalls unterentwickelt; geachtet oder gepflegt wurde das antike Erbe jedenfalls nicht. Athen war nur ein Beispiel in langen Reihe, das in der Folge einer Kombination aus Interesselosigkeit, Zerstörungswut und Sammlersucht zum Opfer fiel.
Während der 80er und zu Beginn der 90er Jahre hatten die Franzosen dank der erfolgreichen Tätigkeit Choiseul-Gouffiers in Konstantinopel den Antikenmarkt noch fest in der Hand. So hätte es vielleicht der Comte sein können, der den nachmalig unter dem Namen Elgin-Marbles berühmt gewordenen Skulpturen seinen Namen verliehen hätte, wenn, ja wenn die Weltgeschichte gänzlich anders gelaufen wäre, wenn die Revolution nicht ausgebrochen wäre, der Graf in Konstantinopel verblieben wäre, wenn sich nicht die Franzosen unter Napoleon - oder eigentlich um ihn loszuwerden - in das ägyptische Abenteuer verstrickt hätten, und somit ihre zuvor so geschickt erworbene Sonderstellung verloren hätten, wenn Choiseul-Gouffier somit nur ein wenig mehr Zeit verblieben wäre, wenn ….
Die politischen Ereignisse in der Heimat jedenfalls bringen Choiseul-Gouffiers privilegierte Stellung nach neun Jahren 1793 zu einem abrupten Ende, und so wird es eben Elgin sein, der sich ab 1801, versehen mit dem Firman des Pasha, den er entsprechend weit auslegt … doch das ist eine andere Geschichte. (Es mag den Grafen immerhin mit Genugtuung erfüllt haben, dass im gleichen Jahr 1816, als er zum zweiten Male mit der Aufnahme in die Academie geehrt wird, der in argen Geldnöten steckende Lord Elgin gezwungen ist, seine in Griechenland "zusammengetragene" Sammlung einschliesslich der Parthenonskulpturen dem englischen Staat zu übereignen). Bereits 1792 war er von der Revolutionsregierung, die sich ganz offensichtlich zunächst damit zufriedengab vorrevolutionäre, adelige Beamte weiterzubeschäftigen, aufgefordert worden sich als Botschafter nach London zu begeben. Dies passte dem Grafen nun gar nicht, die Gründe sind nicht weiter bekannt, er weigerte sich, mit dem Ergebnis, dass er kurz darauf seiner Stellung gänzlich verlustig ging, seine Ablösung auf den Weg geschickt wurde, und er zurückberufen wurde. Gleichzeitig wurde sein Besitz in Frankreich, einschliesslich seiner Marseiller Sammlung, konfisziert. Man kann es ihm wohl kaum verdenken, dass er dem jakobinischen Ruf jedoch nicht Folge leistete, sondern als politischer Asylant Zuflucht am Hof in St. Petersburg suchte. St. Petersburg bot sich aufgrund seiner guten Verbindungen zum russischen Hof als naheliegende Lösung an, hatte er doch während der 80er Jahre dem russischen Botschafter, der anlässlich einer der zahllosen russisch-türkischen Verwicklungen in Haft gesetzt worden war, zur Freiheit verholfen. Die nächsten 10 Jahre verbrachte er am Hofe der Zarin Katharina und ihres Nachfolgers Paul I. Es ging ihm, abgesehen von der Verwicklung in eine mindere Hofaffäre, dort nicht sonderlich schlecht und seine hohe Stellung und guten Verbindungen verhalfen ihm immerhin zu der privilegierten Stellung eines kaiserlichen Privatrates und des Direktors der Akademie der Künste und der kaiserlichen Bibliothek.
1802 wird Napoleon, augusteischem Muster folgend, Konsul auf Lebenszeit und setzt somit einen Schlusspunkt unter das Zeitalter der Revolution. Längst hat sich die Energie der Bürgerrevolution totgelaufen und sind quasi-monarchische Verhältnisse (wieder)hergestellt, und der Aristokratie einschliesslich Choiseul-Gouffier wird die Rückkehr in seine Heimat gestattet. Nach knapp 20 Jahren in der Ferne dürfte er sie kaum wiedererkannt haben. Nicht nur sind viele seiner Freunde der Revolution zum Opfer gefallen, oder haben Frankreich den Rücken gekehrt, abgestossen, verbittert, exiliert. Es herrscht auch unverkennbar eine neue Zeit, ist nichts mehr zu verspüren von postbarocker Leichtigkeit und Frivolität, es haben sich neue Gesichter und Namen nach oben gearbeitet, hat sich eine neue herrschende Klasse herausgebildet. Er verlegt sich nun darauf seinen Besitz, seine Sammlungen, seinen Aufzeichnungen zusammenzusuchen, die bürokratische Tortur mit Behördengängen, Anträgen und Verhandlungen lässt sich leicht vorstellen - im Vorwort zum zweiten Teil der "Voyages Pittoresques", an dem er nun arbeitet, lässt er manches davon anklingen. 1809 erscheint ein erster Teil dieses zweiten Bandes der "Voyages Pittoresques", den Rest hat er nie fertiggestellt und wurde erst von seinem Kollegen und Freund Jean Denis Barbié du Bocage geordnet, zu Ende gebracht und 1822 posthum publiziert. Seine Sammlung erhält er nur zum Teil zurück. 1816, er ist nun 64, und Napoleon, dessen Regime ihm zwar die Rückkehr gestattet aber die Rehabilierung verweigert hat, geschlagen und verbannt. Es erfolgt, endlich, Restauration und glanzvolle Rehabilitierung, ein (erneuter) Neuanfang: er wird zum "Pair de France" berufen, Staatsminister, Mitglied des Staatsrats und erhält seinen Sitz an der Académie Françase und der Académie des Inscriptions zurück und wird an die Akademie der Schönen Künste berufen. Zahlreiche Artikel und Vorträge folgen u.a. "Dissertation sur Homère", "Mémoir sur l'Hippodrome d'Olympie" und "Recherche sur le Bosphore de Thrace". Vielleicht zuviel des Guten, denn im Frühjahr 1817 erleidet er einen Schlaganfall und er verstirbt während eines Kururlaubs in Aix.
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Als am 17. August 1818 seine Sammlung im ehemaligen "Hôtel de Marboeuf" an den Champs Elysées versteigert wird, gelangen ca. 500 Objekte zum Aufruf, Gemälde, Zeichnungen, Karten und "moderne Kunst" umfassend, sowie über 270 Antiken. Wohlgemerkt handelt es sich hier nur ein Bruchteil seiner durch die Revolutionswirren zerstreuten, verlorengegangenen und enteigneten Kollektion. Etliche Stücke wurden vom damaligem "Musée Royal", dem heutigen Louvre, ersteigert, ein weiterer grosser Teil vom Britischen Museum, ein dritter Teil ging in die Sammlung Pourtales, die 1865 an den Louvre vermacht wurde. Heute formt die ehemalige Sammlung Choiseul-Gouffier mit 79 Objekten einen wesentlichen und wichtigen Bestandteil der griechischen Antiken des Louvre, Höhepunkte sicherlich die Fragmente vom Parthenon (im Salle 7 Parthenon), einschliesslich einer Baurechnung und die sog. Agamemnonstele (Salle 1 Préhistoire Grècque). Weitere Objekte, u.a. ein kleiner Altar mit Inschriften und ein Relief, befinden sich heute im Museé Borély in Marseille; eine Handschrift der Katalog erwähnt weitere Namen von Käufern wie Dubois und Crawford, der Verbleib des Restes seiner Sammlung jedoch verbleibt "pas connu".

Literatur:
M.G.F.A. Choiseul-Gouffier, Voyage pittoresque de la Grèce I, 1782, Paris.
M.G.F.A. Choiseul-Gouffier, Voyage pittoresque de la Grèce II, 1809, Paris (Teil 1).
J.D. Barbié du Bocage, Marie Gabriel Florent Auguste Choiseul-Gouffier, Voyage pittoresque de la Grèce II, 1822, Paris (Teil 2).
Abbé G.Martin, Voyage à Constantinople. Fait à l'occasion de l.ambassade de M. le Comte de Choiseul Gouffier à la Porte Ottoman, Paris 1819.
E. Gran-Aymerich, Dictionnaire biographique d'archéologie, Paris 2001.
E. Gran-Aymerich, Naissance de l' archéologie moderne 1798-1945, Paris 1998.

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