Bloody f*!"g brilliant



"Ich wurde vor einigen Tagen in der Piazza Navona festgenommen, warum weiss ich nicht. Ich bin Maler, und ich denke ich kenne alle Maler in Rom … aber nicht alle sind gute Menschen. Und mit 'guten Menschen' meine ich jemanden, der sein Handwerk gekonnt ausführt, und mit 'gutem Maler' meine ich jemanden, der gut zu malen und ein perfektes Abbild der Natur zu schaffen versteht".
Arrogant, vulgär, aggressiv, der Rauf- und Sauferei nicht abgeneigt - Michelangelo Merisi aus Caravaggio war kein Kind von Traurigkeit, und niemand dem der heutige kunstbeflissene Besuicher dieser Schau gerne in einer dunklen Gasse begegnet wäre. Der obige Text findet sich in den römischen Gerichtsakten - bezeichnenderweise eine der ergiebigsten Fundstellen zu seinem Leben - anlässlich eines Vorfalls im Jahre 1603, die ihn wieder und nicht zum letzten Mal mit dem Gesetz in Konflikt gebracht hatte.
Viel Halbbgares und romantisch Verbrämtes ist über sein Leben fabriziert worden, je nach Geschmack gewürzt mit mit einer guten Prise Kindermädchenpsychologie, Gedanken zum Einfluss seines politisch-sozialen Umfeldes, einem Schuss Psychoanalyse, Spekulationen zu seinen sexuellen Präferenzen - der Zeitmode folgend natürlich homosexuell - und katholischem Revisionismus. Das ist verführerisch. Sein Oeuvre und sein ungewöhnliches Leben laden zu solchen Gedankenspielen natürlich ein, aber am Ende gilt "Nichts Gewisses weiss man nicht". Und romantisch ist sein Leben nur im Nachhinein und für Aussenstehende.
Geboren ist er 1571 in Mailand. Er kommt aus durchaus guter Familie. Sein Vater dient einem der späteren Sforzas (Franncesco I.) als Architekt und Majordomo in dem kleinen Ort Caravaggio, 40 km östlich von Mailand, in den die Familie wenige Jahre zuvor vor der Pest geflohen war. Mit 11 Jahren und zwischenzeitlich verwaist geht er in Mailand in die Lehre. Viel Aufhebens wird in der Begleitliteratur und den Rezensionen - 18 Sonderseiten war die Ausstellung dem Guardian letzte Woche wert! - um seine revolutionären Neuerungen, wie z.B. seinen Realismus gemacht. Das spiegelt aber einerseits eher die britische Unvertrautheit mit kontinentalen künstlerischen Entwicklungen wider. Und es reflektiert andrerseits die Sichtweisen der Ausstellungsorganisatoren und den Hintergrund und die Herkunft der Ausstellung, die Caravaggio im Kontext einer im Manierismus vergehenden, italienischen Renaissance sieht - die Schau war ursprünglich in Neapel zu sehen. Aus zentraleuropäischer Sicht ist das jedoch nichts gänzlich Neues, man denke nur an Breughel, Dürer, Holbein. Die norditalienische Nähe zu nord- und mitteleuropäischen Malschulen erklärt die stilistische Verwandschaft, und macht dann auch seinen späteren Erfolg vice versa vor allem in den Niederlanden, und Utrecht im Speziellen nachvollziehbar. Dort reicht sein Einfluss über die Caravaggisten van Baburen, van Hondhorst und ter Bruggen bis zu Vermeer und Rembrandt (s. Antiquitätenzeitung 11, 1998) - den kulturellen Austausch initiierte kein Geringerer als Peter Paul Rubens, der ihn von seinen römischen Jahren zurückkehrend nach Nordeuropa brachte. Über Orazio Gentileschi, den Hofmaler Charles I. und Vater der berühmteren Artemisia gelangte ein kleiner Widerschein sogar bis nach England (s. Antiquitätenzeitung 10, 1999).
Wenig ist bekannt über seine Mailander Lehrjahre und irgendwann zwischen 1588 und 1593 taucht Caravaggio in Rom auf. Dort erwirbt er sich schnell einen grossen Kundenkreis, aber auch eine zwielichtige Reputation. Mehrere Prozesse folgen, ein Streit um ein Tennisspiel im Jahre 1606 endet blutig. Caravaggio flieht und einer Verschnaufpause im spanischen Königreich von Neapel folgt die Weiterreise (-flucht?) nach Malta. Dort scheinen sich seine Verhältnisse endlich ein wenig zu klären und zu beruhigen, Er wird von den Grossmeistern des Ritterordens engagiert, wird sogar in den Orden aufgenommen und schafft einige seiner wenigen Porträts. Doch wieder verstrickt er sich in im Nachhinein schwer zu entwirrende Affären, landet im Gefängnis, flieht nach Sizilien, verhandelt seine Rehabilitation mit dem Vatikan, wird auf der Rückreise erneut verhaftet, erkrankt und stirbt.
Die Schau konzentriert sich auf jene Jahre der Flucht, zwischen 1607 und 1610. 15 Gemälde aus jener Schaffensperiode werden gezeigt, dramatisch und eindrucksvoll präsentiert, doch längst nicht alles was Caravaggio in jenen Jahren geschaffen hat. Wichtige Gemälde aus Rom, Neapel, Malta und Syrakus fehlen. Verteilt auf sechs Räume ist die Präsentation ausserordentlich ….. übersichtlich.
Wie immer lässt sich über Präsentation und Konzept streiten. Der Zweck der Schau wird nicht gänzlich klar, um so mehr als erklärende Tafeln gänzlich fehlen - ein neuer auch in anderen Ausstellungen zu beobachtender und nicht unbedingt zu begrüssender Trend -, und jedem Besucher lediglich ein kleines Begleitheft in die Hand gedrückt wird. Kunstgeschichtliche Einordnung? Wohl kaum, da nur einmal, zu Beginn der Schau, zwei Versionen des Mahls zu Emmaus aus unterschiedlichen Schaffensperioden und nicht zwingend überzeugend gegenübergestellt werden; und das imaginäre Museum des Normalbesuchers zu weitergehenden Analysen wohl kaum herreicht. Ein weiteres Problem mit jeglicher Interpretation ist auch der Zustand der Bilder. Die erwähnten Emmausgemälde sind restauriert und somit in ihrer Wirkung so nahe an ihrem Originalzustand wie möglich. Andere, wie der Lazarus, die Anbetung der Hirten und die Verkündigungsszene in Raum 4 sind im Laufe der Jahrhunderte derart abgedunkelt, dass generelle Rückschlüsse auf Stil und Entwicklung schwerlich möglich erscheinen.
Dabei liegt die Fasszination seines Werks in ihrer immmensen Vielschichtigkeit. Vom ästhetischen Aspekt einmal ganz abgesehen, können sie auf mindestens vier Ebenen interpretiert werden. Da wären einmal seine wohlbekannten und auch reichlich breitgetretenen dramatischen Lebensumstände. Hinzu kommt die historisch- religöse Ebene, die sein Werk mit der Gegenreformation in Verbindung setzt und dem Versuch der katholischen Kirche die Gläubigen über den Weg der Kunst in ihren Schoss zurückzuführen - Quellenaussagen zufolge war er gerade bei den Massen populär. Noch wird dieser Kampf noch von der Kanzel gefühhrt, bis zum Ausbruch des Dreissgjährigen Krieges sind es jedoch nur noch wenige Jahre. Parallel dazu die Ideen der frühen Aufklärung, die Gewicht auf wissenschaftliche Beobachtung der Realität legen. Und letztlich, kunstgeschichtlich, findet in seinem Schaffen der grosse Epochen- und Paradigmenwechsel von der Renaissance zum Barock statt. Das Genie Caravaggios liegt nun darin, dass er - sicherlich unbewusst - all jene Aspekt, und mehr, in seinem Oeuvre zum Ausdruck bringt. Am Ende lässt das vielleicht am besten unter dem Begriff "Umbruch' zusammenfassen, und darin liegt - reine Spekulation - der Grund seiner Wiederentdeckung im letzten Jahrhundert und seine Anziehungskraft für den zeitgenössischen Betrachter.
Diese Deutungsebenen finden sich überall, wie zum Beispiel in dem grandiosen David mit dem abgeschlagenen Haupt Goliaths im letzten Raum. Es ist das in gequältem Ausdruck erstarrte, von den Jahren gezeichnet Haupt des Künstlers, das der jugendliche Held in der ausgestreckten Linken hält. Sieht er sich selbstanklagend und in Reue über sein Leben in der Rolle des Monsters, das den Tod verdient hat? Es war es eines jener Gemälde mithilfe dessen der Maler seine Pardon vom Papst zu erlangen hoffte. Das Gesicht Davids, und mehr noch das seines Widersachers sind keine der klassischen Antike oder Renaissance abgeschauten Typen, sondern wirklichkeitsgetreue Porträts, in typischem Chiaoscuro dramatisch auf die Leinwand gebannt. Oder der schlafende Putto in Raum 3, weniger das Abbild eines holden Engelchen, sondern Porträt eines erschöpften Strassenjungen, mit verschmutzten Flügeln. Und die Kreuzigung des heiligen Andreas (Raum 2) ist die Momentaufnahme einer barbarischen und brutalen Folterszene.
"Bloody f*!"g brilliant!", gar nicht englisch-unterkühltes Verdikt eines Besuchers - was vermutlich Caravaggio gut gefallen hätte.ä
Caravaggio. The Final Years, NG Trafagar Square, bis 22. Mai, Eintritt £7.50. Katalog: S. Cassani, M. Sapio (Hrsgg.), Caravaggio. The Final Years, electaNapoli 2005, £25, zahlr. Frabige Abb.
Broschüre zur Ausstellung: Francois Avril, Pierette Crouzet-Daurat (Hrsgg.), 2003, Edition de la BnF, 48S., in Farbe, 7,50Euro.

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© Dirk Bennett 2003