Schön wie die Sonne




Gelegentlich stellt sich die Frage nach der Rolle und dem Selbstverständnis des Kunstkritikers. Die Tate Britain zeigt derzeit Bridget Rileys Werkschau. Vermeintlich etabliert, hat das Oeuvre der britischen Künstlerin offensichtlich und erstaunlicherweise immer noch sattsam Potential zu verwirren, zu polarisieren ….oder das Publikum ganz einfach in Ratlosigkeit zu versetzen. Manche Besucher sehen sich gänzlich ausserstande ihre Kunst zu verstehen oder gar Position zu beziehen. Ein Rezensent im renommierten "Guardian" zum Beispiel begnügte sich damit Zitate aus der gesammelten britischen Presse aneinanderzureihen. War das um die ganze Kaleidoskop der Deutungsmöglichkeiten darzulegen, postmodern ironisch gemeint, oder ganz einfach ein wenig bequem - und somit symptomatisch für die kritische Haltung moderner Zeiten, die zitiert, provoziert, Fragen stellt und in Frage stellt, sich aber allzu häufig um die Antwort drückt? Dabei ist es gar nicht so schwierig mit ihrer Kunst, und Bridget Riley gibt selbst bereitwilligst Nachhilfen zu Verständnis und Interpretation. Ihre Kunst ist primär und ihrem Ausgangspunkt visuell. Eine Tautologie. Vielleicht. eine in ihrer Schlichtheit jedoch nur offenbar banale Aussage- eine die den Kern ihres Schaffens ausmacht. Sie hat sich ihr eigenes, streng abstraktes und auf scheinbar einfachen Regeln beruhendes System geschaffen, an dessen Weiterentwicklung sie über die vergangenen vier Jahrzehnte konsequent gearbeitet hat. Es mag erstaunlich anmuten und in Widerspruch zu ihrer allem Augenschein nach wissenschaftlich-rationalen Kunst stehen, aber, wie die Schau treffend darstellt, handelt es sich nicht um eine isolierte und zielgerichtete, sondern durchaus organische Entwicklung, die Einflüsse vom nicht-abstrakten Aussen aufnimmt und verarbeitet. Beleg des internationalen, Kritikerkreise überschreitenden und sich nicht lediglich im Monetären messenden Erfolgs ihres, möglicherweise sogar missverstandenen, Ansatzes sind, Zeichen der Zeit, die unzähligen Fanwebseiten, u.a. eine, die anbietet, Fotos, Bilder jeglicher Art im Bridget Riley Effekt zu bearbeiten. Die Schau ist chronologisch aufgebaut, was sich anbietet, da sich ihre künstlerische Entwicklung relativ deutlich unterscheidbare Phasen eins "Systems" unterteilen lässt. In insgesamt acht Räumen wird ihre Entwicklung seit den frühen 60ern vorgestellt , beginnend mit "1+1=1" - man sei beruhigt, die Schau krankt zum Glück nur ganz ansatzweise am Hang moderner Kuratoren zu Überschriften der affektierten Art - "Schwarz-Weiss", "Licht und Farbe", "Drehungen und Kurven", "Vorstudien", "Die Ägyptische Palette", "Querbewegungen/In die Tiefe", "Neue Kurvenbilder". Faszinierend ist Raum 5, "Vorstudien", der sich mit ihrer Arbeitsweise und Entstehung ihrer Bilder auseinandersetzt. Das Endprodukt ist Ergebnis einer Arbeitsteilung. Riley entwirft, den Transfer der detaillierten und mit zahllosen Anweisungen versehenen Skizzen? Vorzeichnungen? Studien? in ihre endgültige Form besorgen ihre Mitarbeiter. Ein (respektloser) Besucher der Ausstellung behauptete, das sei auch verständlich, sie wolle sich nicht dem häufig optisch-verwirrenden Effekt ihrer Bilder aussetzen und sich das Augenlicht erhalten. Bei den Vorstudien zeigt sich auch ihr geradezu intuitiver Ansatz. Ihre visuell raffiniert und scheinbar auf komplizierten mathematischen Regeln basierenden Vexierbilder sind nämlich nicht das Produkt mühseliger Komputationen, sondern das Ergebnis von 'Trial and Error', von häufig langwierigen emprischen Versuchen. Der Effekt ihrer Kunst jedenfalls ist mehr als die Summe der sorgsam arrangierten Einzelteile und mehr als lediglich visuell. Transzendental, oder spirituell ware vielleicht übertrieben, der Überblick in dieser Schau zeigt eine überraschende Nähe ihrer Kunst zu 'natürlichen' Seherlebnissen; was sich nur anhand von Eindrücken vermitteln lässt - von gleitenden Übergängen, Rythmen, Unterbrechungen, Störungen und gegenläufigen Bewegungen, Nuancen und Schattierungen. Am Ende scheint es fast als nähere sie sich traditionell naturalistisch-gegenständlichen Kunstrströmungen von der Abstraktion her an. In ihren jüngsten Bildern in Raum 8 zitiert sie beispielsweise, bewusst oder unbewusst?, Farb- und Kompositionselemente der Matisse'schen Tänzer (Blues and Greens, 2001; Evoë 3, 2003). Es bleibt zum Abschluss doch nur noch die Zuflucht zum Zitat, aus der Mail on Sunday. Als Resümee, und weil es bis dato einfach das schönste Kompliment ist, das der Künstlerin gemacht worden ist: "Als eigenartige Tatsache bleibt festzustellen, dass, sobald man sich abgewendet hat, ihr Werk keineswegs hässlich ist, sondern fast zu schön um es zu lange zu betrachen … so schön wie die Sonne." Bridget Riley, Tate Gbritain, bis 28.September, täglich 10-17:40, Eintritt £6-8.50 Katalog: Paul Moorhouse (ed.), Bridget Riley, Tate Publications 2003, 244 s., 130 Farb- & 10 s/w Abb., £24.99.


Homepage | Email | Lebenslauf deutsch | Lebenslauf englisch | Lebenslauf französisch |

Englische Artikel | Deutsche Artikel | Buchempfehlungen | Bilder | Voyages |

© Dirk Bennett 2003