In alle Winde ...


Breton (2K)


Wie sauer Bier ist die Sammlung des Egomanen, Solipsisten, oder soll man sagen des Genies des Surrealismus den staatlichen Stellen angeboten worden - ohne Erfolg. Nach dem Tod Elisas, der dritten Frau Bretons, vor wenigen Jahren entschloss sich seine Tochter Aube Breton Elléouët daher im letzten Herbst endgültig zum Verkauf der in seiner kleinen Miet(!)wohnung in der 42, rue Fontaine - am Montmartre - zwischen 1922 und 1966 zusammengetragenen Sammlung.
Es ist kaum überraschend dass es in der Vergangenheit nicht an Plänen, Vorschlägen und an Interessenten von nicht-staatlicher Seite gefehlt hat, der Kollektion habhaft zu werden und sie in ihrer Gänze zu erhalten; für Stiftungen besipielsweise nach dem Vorbild der Fondations Vasarely, Arp oder Giacometti. Repräsentanten des Humanities Research Center von der Universität in Austin, Texas klopften jahrelang vergeblich bei den Erben an, Daniel Filipacchi, Eigentümer von Paris Match und einer der passioniertesten Sammler surrealistischer Kunst hierzulande, François Pinault von Christies und die Eigner von Printemps äusserten ihr Interesse.
Die öffentliche Meinung - ohnehin sensibilisiert durch die soeben erfolgte Schliessung zweier bedeutender Sammlungen, des Musee de l'homme und des Musée des arts d'Afrique et d'Océanie (zugunsten eines weiteren präsidialen Prestigeobjektes) - macht sich seit Monaten in zahlreichen Initiativen Luft, zuletzt in einer mit Unterstützung der Tageszeitung "Le Monde" von Mathieu Benezet, Francois Bon und Laurent Margantin Luft organisierten Petition. Lawrence Ferlinghetti, Susan Sontag and John Ashbery gehörten zu den Signatoren. Auf Internetforen wettern sich Kunstliebhaber, Künstler und Professoren gegen die drohende Auflösung der Sammlung. Die Äusserungen des derzeitigen französischen Kultusministers, von den Ereignissen überrascht worden zu sein wirken daher ein wenig wie eine Ausflucht.
Das Interesse an der Sammlung demonstriert aber auch die Aktualität einer Bewegung, die gelegentlich als die einzig erfolgreiche kulturelle Revolution des 20.Jahrhunderts bezeichnet wurde. An der sie umgebenden hitzigen Debatte während der 20er und 30er Jahre beteiligten sich, bis auf Matisse und Leger, alle bedeutenden Künstler und Autoren der Zeit.
Der geistige Vater und Guru war im Wesentlichen André Breton; Poet, Essayist, Kritiker, Publizist mit gelegentlichen Ausflügen in die Kunst, der nach dem 1.Weltkrieg kurz mit Dada geliebäugelt, sich aber ebenso schnell wieder mit dessen Vertretern überworfen hatte. Seinem Charakter lag es wohl mehr, seine eigene Gruppe zu begründen. Die Ausrichtung des Surrealismus auf das Unterbewusstsein ist dabei kein Zufall. Zum Einen war Freudsche Psychoanalyse "en vogue", zum anderen hatte Breton Medizin und Psychiatrie studiert, ohne sein Studium allerdings zum Abschluss zu bringen. Das Surrealistische Manifest von 1924 wurde jedenfalls der Auslöser einer im Wesentlichen urbanen Strömung und einer explosiven Mischung von Psychoanalyse, Marxismus und kreativer Energie.
Man kann sich wieder einmal fragen, wie ihre Entwicklung ohne Hitler verlaufen wäre - Tatsache ist, dass der Einmarsch der Deutschen ihre Mitglieder in alle Winde zerstreute. Zwar hatten sie sich gelegentlich politisch gegeben und sich nominell am Marxismus angelehnt - bis heute Lieblingsspielzeug französischer Intellektueller - aber letztendlich wenig an praktischem Widerstand zustandegebracht. Nach dem Ende des Krieges und zurück aus dem amerikanischen Exil in den USA verlaufen Wiederbelebungsversuche von Seiten Bretons im Sand. Der Schwerpunkt verlagert sich zu den Existentialisten um Sartre und vom Deux Magots zum benachbarten Cafe Flore in St Germain de Pres.
Humor, Subversion, Spontaneität und Experimentierfreudigkeit waren Kern und Erbe des Surrealsimus, trugen aber paradoxerweise zu seinem künstlerischen Verfall bei. Bis heute werden Bretons einst revolutionäre Ideen unreflektiert von Generationen sich modern gebenden Künstler repetiert. Sie befinden sich somit (wohl unbewusst) in unmittelbarer Nähe von Kommerz und Werbung, die sich der offensichtlich noch immer innewohnenden suggestiven Kraft surrealistischer Ikonographie bedienen.
Vom 1.-18.April wird nun also bei Drouot Richelieu jene Sammlung von über 4,000 Losen mit einem Gesamtwert von 30 Mio. Euro zur Versteigerung gebracht; d.h. heisst 433 Lose Moderne und Altmeistergemälde - letzteres bezieht sich wohl auf Losnr.4090, einen betenden Mönch aus der Nachfolge von Jose de Ribera, 17.Jh., für 400-500 Euro - , Skulptur und Druckgrafik, 500 Lose Fotografien, 251 Lose Stammeskunst, 441 Lose Volkskunst und Münzen und 785 Lose Bücher und Manuskripte. Wem der 8-bändige Katalog zu umfangreich, zu schwer oder mit über 200 Euro zu teuer ist, der kann sich per Internet unter breton.calmelscohen.com kundig machen.

Die Sammlung ist gleichsam ein Querschnitt durch den Surrealismus und seine Ausdrucksformen in Theorie und Praxis. In der Abteilung Bilder finden sich Zeichnungen, Assemblagen und Skulpturen von Chirico, Picabia, Ernst, Miro, Magritte, Picasso, Dali, Duchamp, Giacometti; darunter u.a . Viktor Brauners "L'étrange cas de Monsieur K" (Losnr. 4075, 100000-150000 Euro), "Le Piège" von Miro (Losnr. 4040, 3-5 Mio. Euro) und Jan Arps "Femme" (Losnr.4016, 400000-600000 Euro). Breton selbst ist mit zahlreiche Zeichnungen, Skizzen und Kritzeleien vertreten. Die Risse auf der Oberfläche von Magrittes "La Femme cachée" (Losnr. 4045, Taxe 500 000-800 000 Euros) übrigens rühren von Breton Reinigungsversuchen mit Seife.
Unter den 1,500 Fotografien dürften die Abzüge Man Rays - darunter ein Portät von Marcel Duchamp mit Tonsur für 22000-25 000 Euros (Losnr. 5007) oder Bretons (Losnr. 5008, 18000-25000 Euro) - und Brassaï, u.a. das eigenartige "La maison que j'habite, ma vie, ce que j'écris" (Losnr.5054, 5000-6000 Euro), auf das grösste Interesse stossen.
Die Bücher und Manuskripte der Sammlung bieten einen wahre Fundgrube an Dokumenten zur Geschichte des Surrealismus, mit Gedichtentwürfen Bretons, Essays, automatische Zeichnungen, die während der Sitzungen angefertigt wurden, surrealistische Spiele und Spieleien, Bücher mit persönlichen Widmungen Freuds, Apollinaires and Trotskys. Darunter befinden sich auch Bretons "Qu'est-ce que le surréalisme" mit einer Gouache von Magritte (Losnr.148, 120000 Euro) und das Originalmanuskript seines seiner Frau Elisa gewidmeten Essays "Arcane 17" (Losnr.2254, 150000 Euro).
Bretons Lust am Widersprüchlichen, Ornamentalen und die pure Freude am Sammeln kommt in den letzten zwei Abteilung der Auktion - Primitive und Stammeskunst, Volkskunst und Münzen - zum Tragen. Man mag sich gelegentlich fragen, wie die Auktionatoren zu den Schätzungen kamen. Bei Objekten wie der Glaskugel einer Hellseherin (Losnr. 3125, 4000-6000 Euro), einem kolonialen Spazierstock (Losnr. 3176, 400-600 Euro), dem demografische Stereogramm (Losnr. 3188, 10000-20000 Euro) - was auch immer das ist - den Sammellosen von Waffeleisen (z.B. 3427, 700-1000 Euro) ist es wohl vor allem die Provenienz, die den Objekten vom Rostrum helfen soll. Daneben gibt es Indianisches aus Amerika und Kanada, u.a. eine bemerkenswerte Uli-Kultatatue aus Neu-Irland (Losnr.6130, 500000-700000 Euro).
Die französische Regierung mag in Einzelfällen das "droit de succession" geltend machen und Madame Breton Elléouët den Inhalt der von Fotografien bekannten Atelierwand aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters dem Musée d'Art moderne du Centre Pompidou versprochen haben - eine Rekonstruktion war zuletzt auf der von Werner Spies organisierten Ausstellung "La révolution surréaliste" Anfang 2002 im Centre Pompidou zu sehen, nachfolgend unter dem Titel"Surrealismus 1919-1944" in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf - ihre endgültige Auflösung scheint jedoch beschlossene Sache. Man kann - erneut - nur auf ein Veto in letzter Minute von Seiten der französischen Regierung hoffen. Andrerseits werden die Objekte wohl wie die warmen Semmeln verschwinden.

André Breton, 42 rue Fontaine,1.-18.April 2003 Calmels Cohen Commissaires Priseurs Associés à Paris, Drouo-Richelieu, Hotel Drouot, 9 rue Drouot, 75009 Paris, tel.: 0033 1 48 00 20 20.

Homepage | Email | Lebenslauf deutsch | Lebenslauf englisch | Lebenslauf französisch |

Englische Artikel | Deutsche Artikel | Buchempfehlungen | Bilder | Voyages |

© Dirk Bennett 2003